Минчанин

Минчанин ist die Bezeichnung für einen Bewohner von Minsk. Im Deutschen würde man wohl Minsker sagen. In diesem Beitrag geht es um einen ungewöhnlichen Bewohner Minsks, der Anfang der 1960er Jahre in der Stadt lebte. Eine Person von der man das nicht unbedingt erwartet. Seine Zeit in der Stadt ist heute weitgehend vergessen.

minsk2

Gemeint ist Lee Harvey Oswald, der Mann der allen Verschwörungstheorien zum Trotz 1963 John F. Kennedy erschoss. Er hatte wohl schon länger Sympathien für die kommunistische Ideologie, wollte aber zuerst Soldat werden. Unter einem Vorwand lies er sich entlassen, reiste nach Finnland und ging dort dann in die sowjetische Botschaft. Er war 19 Jahre alt. Er beantragt ein Touristenvisum für einige Tage in Moskau. Doch er hat nicht vor wieder zu gehen, sondern will im kommunistischen Paradies leben. In Moskau angekommen findet er wenig Gehör, man weiß nicht so recht was man von ihm halten soll. Vielleicht ist er ein Spion.

000_0738

Nach längerem hin und her, sein Touristenvisum ist längst abgelaufen, darf er doch bleiben. Man schickt ihn nach Minsk, Hauptstadt der BSSR. Belarussische Sozialistische Sowjetrepublik. Er ist der einzige Amerikaner in Minsk. Man gibt ihm eine Wohnung. Sie befindet sich wie passend – und das ist kein Scherz – in der Kommunistischen Straße (улица коммунистическая), Hausnummer 4 Die Straße heißt bis heute so. Sie befindet sich unmittelbar am Platz des Sieges, im Zentrum der Stadt. Aufwändige Zuckerbäcker-Architektur. Diese Adresse war auch damals schon kein Arbeiterviertel, eher etwas für Parteibonzen.

Die Adresse ist bis heute kein Arbeiterviertel. Heute wohl eher Geldadel, wobei die eine oder andere Wohnung scheinbar heute noch in der Hand normaler Leute ist. Vererbt. Von der Wohnung ist es nicht weit zur Horizont-Radiofarbik. In diesem Betrieb gibt man ihm eine Arbeitsstelle. Horizont bzw. im Russischem горизонт ist ein bis heute existierender Elektronikhersteller in Belarus. Radios, Fernseher und einiges anderes sind in vielen Haushalten zu finden. Die Konkurrenz aus China ist noch nicht zu verbreitet.

000_0743

In der Fabrik wird ein Arbeiter abgestellt um Oswald Russisch beizubringen. Der Mann wird später noch Karriere machen. Es ist Stanislaw Schuschkevitsch. Erster Präsident von Belarus, 1991 bis 1994. Wie klein die Welt doch manchmal ist.

Außerdem lernt Oswald eine Studentin kennen. Marina. Sie heiraten, es gibt ein Kind. Auf dem Bild oben ist er mit Frau in der Nähe der Wohnung am Fluss Swislotsch zu sehen, im Hintergrund links die Oper und rechts das heutige Verteidigungsministerium. Heute aus dieser Perspektive nicht mehr so gut zu sehen. Die Bäume sind gewachsen.

Doch schien es mit dem kommunistischen Paradies im Minsk der frühen sechziger Jahre doch nicht so weit her zu sein. 1962 äußert er den Wunsch wieder zurück in die USA zu kommen. Man lässt ihn wieder rein. Ein Jahr später ist der Präsident tot, Oswald zwei Tage danach auch.

Leave a comment