Dieser Post beschäftigt sich mit der Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel in Belarus. Der Titel mag auf den ersten Blick eigenartig erscheinen. Er geht aus der russischen Formulierung ездить зайцем hervor, wörtlich übersetzt: als Hase fahren. Im Russischen fährt man also als Hase, im Deutschen fahrt man schwarz.
Die Fahrt als Hase ist dabei in Belarus. Ein durchaus kalkulierbares Risiko. Kontrollen gibt es in den Bussen und Bahnen relativ selten. Wer mit offenen Augen fährt kann Kontrolleure leicht erkennen. Sie tragen deutlich sichtbare Warnwesten. Wer trotzdem erwischt wird, zahlt eine Strafe von 20.000 Rubel. (Im Russischen verwendet man übrigens das aus dem deutschen stammende Wort штраф, [Schtraf]). Gegenwert der Strafe etwa 1,80 Euro. Recht oft folgt nach nach der Identifizierung eines Hasen eine Diskussion, kaum einer zahlt freiwillig. Die Kontrolleure sind recht unmotiviert und auf die Idee die Polizei zu rufen kommt bei den geringen Beträgen auch keiner. In der Regel endet die Diskussion mit dem Aussteigen des Hasen an der nächsten Haltestelle. Man beachte nebenbei, die Strafe fürs Schwarzfahren kostet weniger als ein normales Ticket in Deutschland. Was kostest ein normales Ticket hier? Derzeit 2000 Rubel, also etwa 18 Cent. Wie bekommt man ein Ticket? Entweder man kauf es an einem der vielen Kioske, die es fast an jeder Haltestelle gibt, oder man kauft es beim Konduktor.
Wer oder was ist dieser sagenumwobene Konduktor? Es ist in der Regel eine mittelalte Frau – man ist fast geneigt zu sagen: Einstellungsvorraussetzung Übergewicht – die sich durch fast jeden Bus schlängelt und Tickets verkauft. Also ein Busschaffner. Bezahlung und Sozialprestige der Kondukoren sind gleich niedrig. Trotzdem ein riesiges öffentliches Beschäftigungsprogramm, man stelle sich vor wie viele Busse es im ganzen Land gibt und in (fast) jedem gibt es neben dem Fahrer noch diesen Konduktor, übrigens ebenfalls an der farbigen Warnweste zu erkennen. Manche Konduktoren sind sehr aktiv fragen jeden ob er ein Ticket hat oder haben will, andere warten darauf, dass man zu ihnen kommt. Ein Konduktorenticket (auf dem Bild rechts, blau) sieht übrigens anders aus als ein Kioskticket (auf dem Bild links, braun), das Kioskticket muss noch entwertet werden. Dies passiert im Bus. Dort gibt es “Locher” die ein Lochmuster ins Ticket stanzen, nicht jedoch einen Stempel, der angibt wann man eingestiegen ist. Dem Experten wird auffallen, dass beiden hier zusehende Tickets nicht aus der gleichen Zeit stammen. Das blaue Konduktorenticket stammt noch aus der Zeit vor der letzten Fahrpreiserhöhung, als das Einzelticket noch 1700 Rubel kostete.
Interessant ist das Ticketsystems auch allgemein. Man bezahlt nicht wie oft in Deutschland für eine gewisse Zeit und kann in dieser Zeit umsteigen so oft man will. Vielmehr muss man für jede Einzelfahrt, also nach jedem Umsteigen neu zahlen. Fährt man mit zwei verschiedenen Bussen oder Bahnen je eine Haltestelle, zahlt man zweimal. Jedenfalls wenn der Konduktor schnell genug da war. Eine Einzelfahrt kann trotzdem mehr als eine Stunde dauern, steigt man an der ersten Haltestelle einer Linie ein, kann man bis zur Endstation fahren.
Weitere Eigenheit des Ticketsystems ist, dass es 16 verschiedene Monatskarten gibt. Dazu sei erstmal gesagt, dass es in Minsk vier verschiedene Transportmittel gibt. Metro, Straßenbahn, Bus und Trolleybus. Trolleybusse sehen aus wie normale Busse fahren aber wie Straßenbahnen, also elektrisch und mit Oberleitung. Für jedes Verkehrsmittel gibt es eine separate Monatskarte, und eben alle Kombinationen. Macht zusammen 16. Ebenfalls nicht extrem logisch ist, dass es Liniennummer bei jedem Verkehrsmittel erneut gibt. So gibt es z.B. sowohl Straßenbahn Nummer 4, Bus Nummer 4 als auch Trolleybus Nummer 4.
Ganz bemerkenswert ist, dass die Sprache im öffentlichen Nahverkehr Weißrussisch und nicht Russisch ist, wie sonst in fast in allen Bereichen in Belarus. Ansagen und Aushänge sind also in weißrussischer Sprache. Viele Orte in Minsk kenne ich dadurch eher mit dem weißrussischen Namen, da ich an die Ansagen in Bus oder Bahn gewöhnt bin.
Das Netz der Verkehrsmittel ist dabei sehr gut ausgebaut, überall fährt irgendein Bus oder eine Bahn hin. Lange warten muss man auch nicht, viele Linien fahren, zumindest Streckenweise, den gleichen Weg. Normalerweise geht man einfach zur Haltestelle und nimmt den nächsten Bus, da schon einer kommen wird, und richtet sich nicht nach dem Fahrplan. An den Haltestellen ist jeweils nur ein schlecht lesbarer Plan angebracht. Genaue Uhrzeiten stehen bei den meisten Bussen nicht, lediglich das Intervall in dem sie kommen. Also z.B. alle 10 Minuten. In der Rushhour kommen mehrere Linien in zentrumsnahen Bereichen etwa alle 5 oder 6 Minuten. Das führt dazu, dass ein ständiger Strom aus Bussen an der Haltestelle vorfährt. Man wartet also tagsüber selten länger als 2 oder 3 Minuten.
Dieser hohe Takt ist aber auch notwendig. Viele Leute wollen mitfahren. Im Bus gibt es in der Regel immer dichtes Gedränge. Eine Eigenart der lokalen Fahrgäste ist es, sich sofort nachdem sich Bus oder Bahn nach einer Haltestelle wieder in Bewegung gesetzt hat zur Tür durchzudrängeln, statt einfach zu warten bis Bus oder Bahn an der gewünschten Haltestelle angekommen ist.
Die Busse stammen übrigens ausnahmslos aus einheimischer Produktion. Entweder von MAZ, der Minsker Autofabrik, Hauptsächlich Autobusse, oder von Belkommunmasch, Trolleybusse und Straßenbahnen. Viele davon sind recht modern, wenn überhaupt erst wenige Jahre alt. Bei den älteren Modellen erlebt man manchmal kleinere Ausfallerscheinungen. Innerhalb von 24 Stunden brachen einmal zwei Busse unter meinen Füßen zusammen. Erster Vorfall: Der Bus ist normal unterwegs. Auf einmal gibt es einen lauten Knall mit Erschütterung. An der nächsten Haltestelle müssen alle aussteigen. Irgendwas war zerbrochen. Zweiter Vorfall: Schon beim Betreten des Buses ist Brandgeruch wahrnehmbar, Rauch oder Flammen aber nicht. Trotzdem geht es ab der nächsten Haltestelle nicht mehr weiter. Bus kaputt.
Busfahrer, unter denen weder Frauen noch 20-jährige Ausnahmen sind, tragen normale Straßenkleidung. Sie sitzen in einem extra Abteil, von den Fahrgästen abgetrennt. Das Abteil haben sie oft aufwendig und individuell dekoriert. Scheinbar hat jeder Busfahrer jeden Tag den selben Bus. Man beachte zum Beispiel beim Bus unten – übrigens ein neueres Modell von Belkommunmasch – die farbigen Seitenspiegel oder die nicht serienmäßigen Radkappen. Jetzt im Sommer haben sie darüber hinaus immer die Fahrertür offen, so gibt es mehr Frischluft. Außerdem rauchen sie in dem Abteil gern während der Fahrt.