Am Meer

Die Überschrift scheint zunächst etwas irreführend. Belarus ist ein Binnenland, hat keinen eigenen Zugang zu irgendeinem Meer. Zur Ostsee in Litauen sind es vielleicht 350 Kilometer.

Trotzdem erholt sich der Minsker an heißen Sommertagen gern am Meer, und das ganz in der Nähe. Er steigt am Hauptbahnhof oder einer der Vortortstationen in die Elektrischka (электри́чка), einer Art S-Bahn, die im Gegensatz zu den Fernzügen nicht mit Diesel, sondern wie es der Name schon erkennen lässt mit elektrischem Strom fährt. Vorher hat er am Schalter, hoffentlich ohne technische Pause, einen Fahrschein erworben. Bezahlt hat er 1350 Rubel. Etwa 12 Cent. (Arbeitet die weißrussische Bahn kostendeckend?).

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Im dichtgedrengten Wagon sitzt er bepackt mit Erholungsnotwendigem neben der Babuschka – sie will auf der Datscha Beeren und Gurken ernten – und vier anderen in einer Reihe auf einer Holzbank und macht sich an der Station “Минское Море” nach etwa 25 Minuten Fahrzeit zum Aussteigen bereit.

Ja, richtig Минское Море, also Minsker Meer. Bezeichnet wird mit diesem Namen ein Stausee des Flusses Swislotsch. Dieser fließt durch Minsk, bevor er jedoch die Stadt erreicht, wurde er aufgestaut, in den fünfziger Jahren. Etwa 10 Kilometer Strand freuen sich über zahlreiche Besucher. Auch Segelboote, einige Ausflugsdampfer und nicht wenige Motorboote und Jetskies gibt es.

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Baden kann man wohl auch, jedoch scheint es mit der Wasserqualität nicht unbedingt in jeden Seeabschnitt weit her zu sein. Am Südufer des Sees ist das Wasser grün und riecht auch entsprechend. Baden nur für Hartgesottene. Aber auch an Land spielt der Minsker gern Volleyball oder liegt einfach nur in der Sonne, macht ein Feuer und grillt Schaschlyk. Wer nicht den Weg mit der Elektischka auf sich nehmen will kann übrigens mit dem Auto bis direkt ans Wasser fahren. Auf den gleichen Wegen ist auch die Miliz unterwegs, die alle paar Minuten zur Streifenfahrt vorbeirollt.

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Die Fassaden von Minsk

Die Fassaden von Minsk, von denen hier die Rede sein wird, erstrecken sich besonders entlang des Prospektes. Gemeint ist die Prachtstraße der Stadt (wenn nicht des ganzen Landes), der Prospekt der Unabhängigkeit.000_0619

Exkurs zum Namen der Straße. Der der derzeitige Name ist wie gesagt Prospekt der Unabhängigkeit (Weißrussisch: праспект Незалежнасці; Russisch: проспект Независимости), die Bezeichnung der Straße wechselte jedoch im Verlauf der Zeit immer wieder, jeweils aktuelle Veränderungen widerzuspiegeln. So waren z.B. Lenin und Stalin einst Namensgeber, die letzte Namensänderung fand 2005 statt, obwohl doch Belarus schon seit 1991 unabhängig ist. Auch Hauptstraße hieß die Straße im Verlauf des 20. Jahrhunderts gleich zweimal.

Der Prospekt wie er heute bekannt ist, ist das Zentrum des Entwurfs der Stadt Minsk der nach dem 2. Weltkrieg entstand. Vieles war zerstört und man nutzte die Gelegenheit alles komplett neu zu bauen. Die Straße wurde deutlich verbreitert, und verläuft nun achtspurig zwischen den großen Plätzen der Stadt. Gesäumt wird sie an beiden Seiten von Gebäuden aus den 1940er und 1950er Jahren, im Stil des Sozialistischen Klassizismus oder auch Zuckerbäckerstil, bzw. im Russischen Сталинский ампир (Stalin-Empire). Dieser Stil ist auch z.B. in der Karl-Marx-Allee in Ost-Berlin, und sonstwo im ehemaligen Ostblock zu finden. Alles ist mit allerlei Stuckelementen verziert. Vasen, Girlanden und anderer Zierrat aus der Gipsfabrik fehlt an keinem Gebäude.

Jetzt aber zum Kern dieses Beitrages. In jeder Stadt findet man im Zentrum und an großen Straßen repräsentativere Gebäude als in Vororten oder Nebenstraßen. So wie beschrieben auch in Minsk. Jedoch gibt es hier einen großen Unterschied zwischen Straßenseite und den Hinterhöfen oder Seitenstraßen. Die Fassaden sind jeweils nur zur Straßenseite hin aufwendig verziert. Geht man durch einen der vielen Torbögen in den Hinterhof findet man dort oft unverputzte Ziegelsteine. In Seitenstraßen, von denen man auch die Rückseite der Gebäude sieht ist das gleiche Bild erkennbar. Was nicht mehr von der Straße erkennbar ist, ist auch nicht verziert, der Stuck hört an der Hausecke auf. Je weiter man sich aus dem Zentrum bewegt, desto weniger werden die verzierten Gebäude im allgemeinen.

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Interessant ist auch, was sich in so manchem Hinterhof, also hinter der Prachtbebauung findet. So steht in der Nähe des Siegesplatzes in einem Hinterhof – heute zwischen Mülltonnen und Garagen – eine alte Kirche. Sie befand sich früher unmittelbar am alten Prospekt. Die Straße war schon lange vor dem Neuaufbau der 1940er Jahre die Hauptstraße der Stadt, nur eben nicht schnurgerade und 50 Meter breit. Teilweise hat also alte Bebauung überlebt, oft im Hinterhof.

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Besonders gut ist all dies auch im Buch “Minsk – Sonnenstadt der Träume” des belarussischen Autors Artur Klinau nachzulesen. Erschienen im Suhrkamp-Verlag und eines der wenigen aktuellen lesenswerten Bücher über Belarus und Minsk in deutscher Sprache. Einen Eindruck vermittelt auch ein Radiobeitrag, des SWR. Abzurufen in der ARD-Mediathek. Hier klicken.

Post-sowjetisches Herren-Accessoire

Thema Herrenmode. Wie trägt der Mann in Deutschland die täglich benötigten Sachen mit sich herum? Er stopft sie vielleicht in die Hosentaschen, als Geschäftsmann vielleicht in den Aktenkoffer, als Hipster vielleicht in den Jutebeutel.

In den post-sowjetischen Ländern schwört der (mittelalte) Mann jedoch auf seine “барсетка” (Barsetka), bzw. Herrenhandtasche. Dieser spezielle Typ einer kleiner Handtasche – in der Regel aus Leder – wird nur von Männern benutzt und ist mir in Deutschland noch in untergekommen. Wer über 30 ist und etwas auf sich hält führt täglich seine барсетка aus. In (Ost?)Deutschland wird selten eine Herrenhandtasche mit Schleife uns Handgelenk getragen, die post-sowjetische барсетка zeichnet sich jedoch durch ihren praktischen Handgriff und die rechteckige Form aus, egal ob in schwarz oder braun.

Mehr zum Thema Mode in Belarus hier in kürze.

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Technische Pause

Technische Pausen – im Russischen технический перерыв – lernt man hier im alltäglichen Leben recht schnell kennen. Teilweise handelt es sich sogar um technologische! Pausen (технологический перерыв).

Was ist eine technische Pause? Man will z.B. an einer Wechselstube hartes Geld gegen allerlei Papier tauschen, ist nach gewisser Wartezeit an der Reihe, die Mitarbeiterin am Schalter lässt aber ohne mit der Wimper zu zucken eine Jalousie herunter und zeigt wenn man Glück hat noch auf ein Schild auf dem die Zeiten der technischen Pausen stehen. Technische Pausen sind also Pausen des Personals, die während des Tages regelmäßig vorkommen. Natürlich gibt es auch noch eine extra Mittagspause für die ebenfalls geschlossen wird. Besonders in Banken, an Fahrkartenschaltern und Kiosken muss man sich auf diese Pausen einstellen.

Zum unten zu sehenden Bild. Es handelt sich um einen Kiosk der Minsker Verkehrsbetriebe “Minsktrans”. Geöffnet ist (eigentlich) von 7 bis 19 Uhr. Aber von 12.30 bis 13.30 Uhr ist Mittagspause. Technische Pausen gibt es von 8.40 bis 9 Uhr, von 11 bis 11.20 Uhr, von 15.30 bis 15.50 Uhr und schließlich kann man auch zwischen 17.15 und 17.30 Uhr hier keine Tickets erstehen.

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Farbe!

Alles wird durch erneuten Anstrich mit frischer Farbe besser. So scheint die Devise hier in den Straßen des ganzen Landes zu lauten. Auf dem gesamten öffentlichen Raum liegen wie Jahresringe eines Baumes dicke Farbschichten. In der Regel grau.

Besonders im Frühling, im Mai, vor dem Tag des Sieges wurde das ganze Land neu angestrichen. Straßenlaternen, Verkehrsschilder und was sonst noch so an Masten hängt waren nur der Anfang. Außerdem kümmerten sich die eifrig arbeitenden Arbeitskolonnen um Bushaltestellen, Gullideckel, Bänke und vieles andere mehr. Am Kaufhaus GUM wurden sogar extra für den Tag des Sieges manche Fassadenelemente in Gold gestrichen. Selbst Busse (außen und innen) bleiben nicht von neuer Farbe verschont.

Da die staatliche Farbenindustrie recht produktiv ist, schadet es wohl auch nicht, wenn mal der eine oder andere Tropfen daneben geht und auf der Straße landet. Auch wird einfach über die darunter liegende Farbschicht drüber gestrichen, inklusive des Drecks. Details an den Rändern spielen auch keine größere Rolle, um das Abkleben macht man sich keine Gedanken, was auch immer daneben liegt wird einfach ein bisschen mitgestrichen.

Neben dem großen Frühjahrsanstrich gibt es aber wohl auch permanent arbeitende Farbbrigaden, die sich z.B. um Häuserwände oder Verteilerkästen kümmern. So haben Graffittis eine sehr kurze Lebenszeit und sind im Straßenbild fast nicht existent.

Und im nächsten Frühling geht es wieder von vorne los.

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Geschmackvolles Spielzeug

Entgegen anderslautender Annahmen ist dieses Blog nicht tot. Dieser Post ist der Beginn neuer Aktivität, bald werden in kürzeren Abständen neue Beiträge folgen.

Nun zum eigentlichen Thema dieses Posts. Ich war vor kurzem in einem größeren Kaufhaus, genaugenommen in der Spielzeugabteilung und dort bei den Modellbausätzen. Angeboten werden fast ausschließlich Bausätze aus russischer Produktion. Neben Miniaturdarstellungen aus Konflikten der vierziger und achtziger Jahre (großer Vaterländischer Krieg bzw. Afghanistan) sind auch verschiedene aktuelle Transportmittel zu haben. Zu Land, zur Luft und auch zur See.

Jedoch könnte das Angebot durchaus einmal überarbeitet werden. So wird zum Preis von etwa 110.000 Rubel (ja, Einhundertzehntausend!) ein Bausatz des Atom-U-Bootes “Kursk” angeboten. Auf der Wikipedia-Seite dieses U-Bootes ist unter der Kategorie “Verbleib” der Hinweis “Am 12. August 2000 gesunken” nachzulesen. Die etwas langatmige und schließlich erfolglose Rettungsaktion in der Barentssee geisterte damals in aller Ausführlichkeit durch die Medien.

Außerdem kann man etwa zum gleichen Preis die Miniatur des Modells “777” des amerikanischen Herstellers Boeing erstehen und dann selbst zusammenbauen. Die Verpackung ist stilecht mit der Skyline von New York inklusive der Twin Towers des (ehemaligen) World Trade Centers dekoriert. Eine Darstellung, die wohl vor dem Jahr 2001 entstanden ist.000_0479 000_0480