Seit dem letzten Blogeintrag ist über eine Woche vergangen. Dies hat im wesentlichen einen Grund. Ich war fast die ganze letzte Woche in der Ukraine.
Reiseanlass, um es in den Worten der zahlreich auszufüllenden Ein- und Ausreisedokumente zu sagen, war mein sog. “On-Arrival-Training”, das alle EVS-Freiwilligen am Anfang ihres Aufenthalts absolvieren. Zu diesem einwöchigen Trainingskurs wurden alle neuen EVS-Freiwilligen der Region an einem Ort gesammelt. Region bedeutet in diesem Fall, Belarus, Ukraine, östlichen Russland und Moldawien. Da die Distanz für alle etwa gleich war und wohl vor allem auch weil EU-Bürger für die Ukraine kein Visum brauchen, fand das ganze in der Nähe von Kiew statt.
So hieß es am letzten Dienstag Abend, auf zum Bahnhof und ab in den Nachtzug nach Kiew. An jedem Wagon wird man von der grimmig schauenden Schaffnerin empfangen, die einem ggf. in einem unfreundlichen Ton zu verstehen gibt ob dies der falsche Wagon ist und in welche Richtung man zum Richtigen kommt. Über dem Bahnsteig liegt Qualm, denn der Heißwasserofen jedes Wagons und der Speisewagen werden jeweils mit Kohle beheitzt.
Auf Strecken in den Westen (und wohl auch hier in einer höheren Preisklasse) gibt es in den Zügen die sog. Coupes (Купе), also 3er oder 4er Abteile mit Tür. Der normale Reisende nimmt aber Плацкарт, also die dritte Klasse. (Ja, in lateinischen Buchstaben heißt das “Platzkart”, eines der vielen deutschen Wörter die auch dem Deutschen übernommen wurden). Auch hier gibt es Betten, aber alle schlafen zusammen im offenen Wagon, je 4 Leute (2 oben, zwei unten) quer zur Fahrtrichtung wie in einem Abteil mit Tür, dann ein Gang und dann nochmal zwei in Fahrrichtung (wieder 2 oben, 2 unten).
Gegen halb 10 abends setzte sich der Zug in Bewegung und begann durch die weißrussische Winterlandschaft zu rollen. In größeren Abständen machte er in irgendwelchen Provinzstädten halt. Einziger halbwegs erwähnenswerter Stop war Gomel, einer der größeren Städte in Belarus, im Süden des Landes. Mit der Zeit galt es dann das Bett zu machen, denn anfangs gibt es nur die normalen Sitze. Die oberen Betten, bzw. die Betten im Gang müssen herunter geklappt werden, Bettzeug, Matratze und Handtuch, sind im Ticketpreis inbegriffen und liegen zusammengerollt auf der oberen Ablage.
Irgendwann wird in der ersten Stufe das Licht etwas gedimmt, bis dann zur Schlafenszeit nur noch die Notbeleuchtung brennt. Idealerweise befindet sich die weißrussisch-ukrainische Grenze ziemlich genau in der Mitte der Reisezeit. Gegen 2 Uhr ging das Licht also wieder an, die Schaffnerin rief “граница” durch den Wagen und kündigte so die Grenzkontrolle an. Der Zug stoppte kurz darauf und die weißrussischen Grenzer und Zöllner kamen hinein.
Die Uniformen mit Pelzmütze und rotem Stern verbreiteten allerlei Sowjetromantik und hätten kaum klischeehafter sein können. Wirklich erstaunt war ich aber über den Einsatz von Technik. Erstmals sah ich bei einer Kontrolle in einem Ex-Sowjetland kam modernes Gerät zum Einsatz. Der Grenzer hat einen Koffer mit Laptop. Er setzt sich in jeder 6er Abteilung. Er nimmt den Laptop auf den Schoß, unter dem Laptop ist an der Seite ein Scanner, mit der er die Pässe scannt. Es kann sogar bruchstückhaftes Englisch, das sich aber auf “Please” und “Mirgration Card” beschränkt”. Nachdem er sogar mit einer Uhrmacherlupe die Echtheit der Visas geprüft hat gibt es Stempel, die Grenzer gehen, der Zug fährt weiter.
Es dauert fast eine Stunde bis der Zug in der Ukraine hält. Hier gilt es wieder eine Migrationskarte auszufüllen, die Grenzer haben auch hier Laptops, müssen die Daten aber mit der Hand eintippen. Hier hat der Zoll sogar Hunde, die mehrmals durch den Wagon laufen aber nichts finden. Wieder gibt es Stempel und der Zug setzt sich endgültig in Richtung Kiew in Bewegung. Wegen der Zeitverschiebung gibt es eine Stunde mehr Schlaf.
Halb neun morgens ist der Zug in Kiew. Alle Beschriftungen auf dem Bahnhof sind auch auf Englisch, hier hat wohl die Fußball-Europameisterschaft Spuren hinterlassen. Wir verlassen den Bahnhof und gehen in die Metrostation. Auf dem Weg fällt schon hier auf, es gibt viel mehr Werbung auch und vor allem von westlichen Ketten. Für 2 Griwna, etwa 20 Cent gibt es einen Metrochip. 2 Rolltreppenminuten später sind wir auf dem Bahnsteig. Die Metro in Minsk ist als einzige der Ex-Sowjetmetros nah an der Oberfläche, hier in Kiew, in Moskau oder St.Petersburg muss man tief nach unten. Ähnlich rasant und laut wie in Minsk, aber mit mehr Werbung und Ansagen sogar auf Englisch geht es zu der Station, von der wir einen Bus zum Tagungszentrum nehmen sollen.
Am Bahnhof fiel schon auf, auch hier gibt es Schnee, so gut geräumt wie in Minsk wird aber hier nicht. Die Schneehöhe scheint mit Minsk vergleichbar. Unter einer Brücke befindet sich eine Art Busbahnhof wo Busse aus der Stadt verkehren. Das Tagungszentrum befindet sich lauf unserem Plan etwa 15 km außerhalb der Stadt. Wir müssen uns zu unserem Bus durchfragen, da das Schild für diese Linie fehlt. Zwischen Schneematsch und gelben Bussen wird auf Holztischen rohes Fleisch verkauft. Immerhin sorgen die Temperaturen für Kühlung.
Man hatte uns vor Ankunft einen Plan gegeben wann unser Bus fährt. Als diese Zeit schon länger verstrichen ist fragen wir wieder bei anderen Leuten nach, die Leute, die auch auf diesen Bus warteten ziehen irgendwann ab, der Bus kommt wohl heute nicht. Man verweist uns aber auf ein Marschrutka (ja, das kommt vom deutschen Wort “Marschroute)”, ein Sammeltaxi oder Privatbus, das auch in diese Richtung fahren soll. Nach über einer Stunde Wartezeit gehen wir also auf die Brücke unter der wir zuvor gewartet haben. Hier führt eine große Ausfallstraße aus der Stadt. Oben angekommen, warten wir auf das Marschrutka mit der Liniennummer 772.
Wir treffen eine Frau die auch in diese Richtung will. Es schneit jetzt recht heftig, da aber alle 30 Sekunden ein Marschrutka kommt muss man aufpassen um das richtige nicht zu verpassen. Doch unseres ist nicht dabei. Es vergeht eine Stunde. Auch der Marschrutkaverkehr scheint heute nicht recht zu funktionieren. Irgendwann rennt die Frau, die auch in unsere Richtung will los. Gerade hält ein Marschrutka mit einer ähnlichen Nummer, wie das auf das wir eigentlich warten. Wir rennen hinterher. Für eine Hand voll Griwnas kann man mit diesen Sammeltaxis überall hinkommen. Endlich geht es weiter und dazu ist es noch warm und trocken.
Es dauert 30 Minuten bis wir da sind. Unser Reiseziel hat im Marschrutkla die Runde gemacht, ein Mann, der mit uns aussteigt zeigt uns dem Weg. Am Straßenrand liegt mehr als ein halber Meter Schnee. Uns dämmert, dass die Verkehrsprobleme mit dem Wetter zu tun haben. Von der gut ausgebauten Straße zweigt ein Weg in den Wald ab, das Tagungszentrum ist im nächsten Dorf. Wie im besten Wintermärchenfilm stapfen wir durch den wenig geräumten Schnee durch den ukrainischen Wald. Nach einer Weile kommen wir an eine Abzweigung. Glücklicherweise kommt gerade ein LKW, gefragt wo sich unser Ziel befindet schickt uns der Fahrer ins Dorf.
Im Dorf angekommen, wo außer Hunden keiner zu sehen ist, dämmert uns, das das doch nicht der richtige Hinweis war. Wir finden an einem Haus eine Klingel, die aber eingefroren ist. Nach einer Weile lässt sie sich doch in Bewegung setzte. Die Frau erklärt uns, dass wir doch nicht ins Dorf, sondern geradeaus gehen hätten müssen. Außerdem beklagt sie sich über den fehlenden Strom, versichert uns aber, dass es im Tagungszentrum Strom geben wird.
Also zurück zur Hauptstraße. Tatsächlich finden wir bald das richtige Hinweisschild. Uns kommt noch ein W50 aus DDR-Produktion entgegen und nach geschlagenen 4 Stunden, haben wir die 15 Kilometer vom Bahnhof zum Tagungszentrum bewältigt.
Die Leute hier sind überrascht, dass wir den Weg allein geschafft haben. Man sagt uns, in den letzten 24 Stunden sind 40 cm Schnee gefallen, der gesamte Busverkehr aus Kiew heraus wurde eingestellt und auch der Strom hier kommt nur vom Generator und ist ansonsten ausgefallen. Letzte Nacht war man eingeschneit, da der Weg durch den Wald zurück zur Hauptstraße blockiert war. Aber immerhin, wir sind da und haben so die erste Herausforderung bestanden.