C рождеством и новым годом – post-sowjetisches Weihnachtsfest

Im September beginnt in Deutschland die Weihnachtszeit. In den Geschäften tauchen Gebäck und andere zuckerhaltige Dinge mit Weihnachtsbezug auf. Ende Oktober wird diese besinnliche Zeit von Halloween unterbrochen um dann gegen Ende eines jeden Jahres ihren Höhepunkt zu erreichen.

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Anders hier in Weißrussland. Als ich Anfang Dezember hier eintraf wurden langsam an öffentlichen Plätzen und einigen Geschäften Weihnachtsbäume aufgebaut. In den Läden bekommt man auch das eine oder andere an speziellen Weihnachtsartikeln, aber bei weitem nicht so viel und aufdringlich wie in Deutschland. Die häufigste Erinnerung an die Weihnachtszeit sind wohl Schilder mit der Aufschrift c рождеством, in deren Nähe in der Regel auch der Hinweis c новым годом befindet.

Sinngemäß (aber nicht wörtlich!) wird also ein frohes Weihnachtsfest und dann auch gleich ein gutes neues Jahr gewünscht. Dies typisch für die ehemaligen Sowjetrepubliken. Weihnachten war zwar auch da nicht vollkommen unbekannt, das neue Jahr war aber wesentlich wichtiger. Besonders seit den 1930 wurde von staatlicher Seite das Neujahrsfest als wichtiger Feiertag propagiert. Warum das Ganze? Religion passte nicht in die Sowjetideologie und Weihnachten hat ja einen eindeutigen religiösen Bezug. (Und dabei war das langsame Ende des Weihnachtsfestes nur ein kleiner und milder Teil dieser Politik, die bis zur Zerstörung von Kirchen [und deren Umnutzung als Kino oder Turnhalle] und der Verfolgung von Geistlichen reichte).

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Weiterer Teil dieser Politik ist die Figur des Väterchen Frost (Дед Мороз), wörtlich übrigens Großvater Frost und seiner Enkelin Snegurotschka (Снегурочка). Zwar reichen die Ursprünge der Figuren in die vor-sowjetische Zeit, jedoch wurden sie ab den 1930er Jahren massiv als die offiziellen Jahresendboten gefördert. Der Bezug ist wiederum klar, beide sollten den Weihnachtsmann, der ja letztlich auf den christlichen Heiligen St. Nikolaus zurück geht, ersetzen. Zwar ist das Erscheinungbild von Väterchen Frost und Weihnachtsmann in Teilen ähnlich, der richtige Väterchen Дед Мороз trägt aber z.B. keinen roten, sondern einen blauen Mantel.

Interessant ist die zunehmende (Wieder?)einführung des Weihnachtsmanns in letzter Zeit. Dieser lacht heute auch hier von Coca-Cola-Postern und kündet von der Weihnachtszeit, dies jedoch mit einer kommerziellen und nicht mit einer christlichen Botschaft.

Wie ich höre fällt Weihnachten in diesem Jahr in Deutschland bei 10 oder 15 Grad plus ziemlich ins Wasser. Am 24. Dezember, an dem ich dies schreibe, liegt hier ein halber Meter Schnee, es schneit derzeit weiter und es sind angenehme -15 Grad, wobei angenehm wirklich ernst gemeint ist. So sieht das Wetter praktisch seit Ende der ersten Dezemberwoche aus und wenn kein all zu starker Wind ist, dies das wirklich problemlos auszuhalten.

Noch ein kleiner humoristischer Rausschmeißer. In der letzten Woche habe ich meine erste eigene Veranstaltung in der Organisation in der ich arbeite (mit)organisiert. Jahreszeittypisch handelte es sich um einen Weihnachtsabend. Wegen meiner landeskundlichen Expertise war das Motto natürlich die Weihnachtszeit in Deutschland. Neben einer Präsentation verschiedener Weihnachsbräuche, Gegenstande und Begriffe durften reichlich selbst gebackene Plätzchen nicht fehlen, die zahlreiche Abnehmer fanden. Da das sowjetische Erbe hier noch immer hochgehalten wird, gab es aus meiner Hand auch Plätzchen in spezieller Form. Hammer und Sichel.

Fröhliche Weihnachten!

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Janukowitsch & Co

Nachdem sich der letzte Beitrag ausschließlich mit der Anreise in die Ukraine beschäftigt hat, hier jetzt der Nachtrag zum Rest der Zeit.100_2094

Wie bereits erwähnt, war das Ganze der der Einführungskurs für alle neuen EVS-Teilnehmer. Veranstaltungsort war im wörtlichen Sinn nicht nur ein, sonder das ukrainische Dorf, “Українське село”. Dabei handelt es sich um einen Komplex aus Holzhäusern, im Stil eines traditionellen ukrainischen Dorfes. Teilweise war es ein Freilichtmuseum mit Häusern, die aus verschiedenen Teilen der Ukraine hier hier gebracht wurden. Zu den Einrichtungen zählte u.a. auch ein kleiner Zoo, mit Tieren aus der Region, die u.a. auch im Winter draußen leben.

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Neben anderen Gebäuden wie Kirche, Schule und Restaurant gab es eine Reihe von Blockhäusern, die zwar auch traditionell aussahen, aber von innen top modern ausgestattet waren. Diese Häuser waren die Unterkunft. Wie im Beitrag zur Anreise bereits zu lesen, lag alles unter einer dicken Schneedecke.

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Die Tage waren mit Vorträgen und Workshops zum EVS-Programm gefüllt. Die Themen reichten von technischen Hintergrundinformationen zum EVS selbst, bis hin zu Workshops mit vielen praktischen Anregungen zur Ausgestaltung der eigenen EVS-Zeit.  Natürlich war es auch allgemein schon interessant zu erfahren, was die anderen EVS-Teilnehmer in ihren Projekten machen. Dazwischen wurde im Restaurant von Kellnerinnen in (pseudo?)-Tracht so ziemlich alles aufgetischt was die ukrainische Küche hergab.

Zum Freizeitprogramm gehörte auch ein Ausflug nach Kiew, das wir bisher nur von den 200 Metern vom Weg vom Bahnhof zur Metro kannten. Im Gegensatz zu Minsk gibt es in Kiew durchaus Verkehrsprobleme und so zog sich die Fahrt etwas in die Länge. Im Zentrum angekommen bahnten wir uns dann den Weg durch den Schnee, der hier zu großen Teilen noch auf den Wegen lag, in Minsk hätten irgendwelche abkommandierten Brigaden die Flocken schon weggeschaufelt. (Mehr dazu in einem separaten Post).

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Das Wetter zeigte sich aber abgesehen von fast zweistelligen Temperaturen von seiner besten Seite, denn an diesem Tag schien als einzigem der ganzen Woche in der Ukraine die Sonne. In kleinen Gruppen ging es dann durch Kiew. Die Gruppen wurden vorher zusammengewürfelt und bekamen alle die Aufgabe die Einheimischen zu einem selbst gewählten Thema zu befragen um später darüber berichten zu können.

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Zuerst gab es die ersten goldbedachten Kirchen zu besichtigen, schon hier fällt auf, Kiew hat viel mehr Einflüsse des westlichen Kapitalismus als Minsk. Geschäfte westlicher Ketten und bunte Werbung überall, dazu auffällig viele Touristen, und allgemein eine offenere Atmosphäre. Erste Stop war dann der Unabhängigkeitsplatz. Umgeben von sowjetischen Gebäuden der 1950er und 60er Jahre auf denen heute Werbung westlicher Konzerne prangen, warten Souvenirhändler auf Kunden, Leute in Kostümen wollen für Fotos mit ihnen einen Hand von Griwnas.

Rechts um geht es eine der großen Straßen entlang. Es gibt eine Polizeiabsperrung, die aber nur zur augenscheinlichen Kontrolle der Durchgehenden dient. 50 Meter später ist dann aber Schluss. Eine weitere Absperrung, an der noch mehr Polizisten stehen. Abgesperrt ist eine Konferenzhalle (das ehemalige Lenin-Museum) mit Stufen auf denen ein roter Teppich liegt. An beiden Seiten des Teppichs stehen Soldaten des Wachregiments. Der Autoverkehr auf der Straße wird jetzt auch gestoppt. Aus einer anderen Straße naht ein Autokonvoi mit Fahrzeugen aus deutscher Produktion. Rieseziel ist das untere Ende der eben beschriebenen Treppe. Die Autotüren öffnen sich und auf die Straße tritt … Viktor Janukowitsch, seines Zeichens Präsident der Ukraine.

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Die Absperrungen halten das Volk außerhalb der Eierwurfweite, auch Kränze sind trotz Wind nicht in der Nähe. Nach 20 Sekunden ist der Spuk vorbei und Janukowitsch samt seiner Entourage im Gebäude. Wie die Erkundung der umstehenden Fahrzeuge später ergibt, handelt es sich wohl um irgendeinen diplomatischen Empfang, da in der Umgebung zahlreiche Limousinen mit Fahnen aus aller Herren Länder stehen.

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Weiter geht es zum Bogen der Völkerfreundschaft, einem Denkmal an die Freundschaft zwischen Russen und Ukrainern. Von dort oben hat man einen guten Blick über den Dnjepr und das Kiew der beginnenden Dunkelheit. Nach einem Aufwärmzwischenstopp in einem Einkaufszentrum, das im Gegensatz zum Столица in Minsk westlichen Standard erreicht, wird noch das St. Michaelskloster besucht. Es wirkt heute sehr orthodox und alt, wurde aber erst vor 10 Jahren (wieder)eröffnet, nachdem es in den 1930er Jahren unter Stalin zerstört wurde.

Dann wartet der Bus, es geht zurück ins Dorf.

Auf dem Weg ins ukrainische Dorf

Seit dem letzten Blogeintrag ist über eine Woche vergangen. Dies hat im wesentlichen einen Grund. Ich war fast die ganze letzte Woche in der Ukraine.

Reiseanlass, um es in den Worten der zahlreich auszufüllenden Ein- und Ausreisedokumente zu sagen, war mein sog. “On-Arrival-Training”, das alle EVS-Freiwilligen am Anfang ihres Aufenthalts absolvieren. Zu diesem einwöchigen Trainingskurs wurden alle neuen EVS-Freiwilligen der Region an einem Ort gesammelt. Region bedeutet in diesem Fall, Belarus, Ukraine, östlichen Russland und Moldawien. Da die Distanz für alle etwa gleich war und wohl vor allem auch weil EU-Bürger für die Ukraine kein Visum brauchen, fand das ganze in der Nähe von Kiew statt.

100_2024So hieß es am letzten Dienstag Abend, auf zum Bahnhof und ab in den Nachtzug nach Kiew. An jedem Wagon wird man von der grimmig schauenden Schaffnerin empfangen, die einem ggf. in einem unfreundlichen Ton zu verstehen gibt ob dies der falsche Wagon ist und in welche Richtung man zum Richtigen kommt. Über dem Bahnsteig liegt Qualm, denn der Heißwasserofen jedes Wagons und der Speisewagen werden jeweils mit Kohle beheitzt.

Auf Strecken in den Westen (und wohl auch hier in einer höheren Preisklasse) gibt es in den Zügen die sog. Coupes (Купе), also 3er oder 4er Abteile mit Tür. Der normale Reisende nimmt aber Плацкарт, also die dritte Klasse. (Ja, in lateinischen Buchstaben heißt das “Platzkart”, eines der vielen deutschen Wörter die auch dem Deutschen übernommen wurden). Auch hier gibt es Betten, aber alle schlafen zusammen im offenen Wagon, je 4 Leute (2 oben, zwei unten) quer zur Fahrtrichtung wie in einem Abteil mit Tür, dann ein Gang und dann nochmal zwei in Fahrrichtung (wieder 2 oben, 2 unten).

Gegen halb 10 abends setzte sich der Zug in Bewegung und begann durch die weißrussische Winterlandschaft zu rollen. In größeren Abständen machte er in irgendwelchen Provinzstädten halt. Einziger halbwegs erwähnenswerter Stop war Gomel, einer der größeren Städte in Belarus, im Süden des Landes. Mit der Zeit galt es dann das Bett zu machen, denn anfangs gibt es nur die normalen Sitze. Die oberen Betten, bzw. die Betten im Gang müssen herunter geklappt werden, Bettzeug, Matratze und Handtuch, sind  im Ticketpreis inbegriffen und liegen zusammengerollt auf der oberen Ablage.

Irgendwann wird in der ersten Stufe das Licht etwas gedimmt, bis dann zur Schlafenszeit nur noch die Notbeleuchtung brennt. Idealerweise befindet sich die weißrussisch-ukrainische Grenze ziemlich genau in der Mitte der Reisezeit. Gegen 2 Uhr ging das Licht also wieder an, die Schaffnerin rief “граница” durch den Wagen und kündigte so die Grenzkontrolle an. Der Zug stoppte kurz darauf und die weißrussischen Grenzer und Zöllner kamen hinein.

Die Uniformen mit Pelzmütze und rotem Stern verbreiteten allerlei Sowjetromantik und hätten kaum klischeehafter sein können. Wirklich erstaunt war ich aber über den Einsatz von Technik. Erstmals sah ich bei einer Kontrolle in einem Ex-Sowjetland kam modernes Gerät zum Einsatz. Der Grenzer hat einen Koffer mit Laptop. Er setzt sich in jeder 6er Abteilung. Er nimmt den Laptop auf den Schoß, unter dem Laptop ist an der Seite ein Scanner, mit der er die Pässe scannt. Es kann sogar bruchstückhaftes Englisch, das sich aber auf “Please” und “Mirgration Card” beschränkt”. Nachdem er sogar mit einer Uhrmacherlupe die Echtheit der Visas geprüft hat gibt es Stempel, die Grenzer gehen, der Zug fährt weiter.

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Es dauert fast eine Stunde bis der Zug in der Ukraine hält. Hier gilt es wieder eine Migrationskarte auszufüllen, die Grenzer haben auch hier Laptops, müssen die Daten aber mit der Hand eintippen. Hier hat der Zoll sogar Hunde, die mehrmals durch den Wagon laufen aber nichts finden. Wieder gibt es Stempel und der Zug setzt sich endgültig in Richtung Kiew in Bewegung. Wegen der Zeitverschiebung gibt es eine Stunde mehr Schlaf.

Halb neun morgens ist der Zug in Kiew. Alle Beschriftungen auf dem Bahnhof sind auch auf Englisch, hier hat wohl die Fußball-Europameisterschaft Spuren hinterlassen. Wir verlassen den Bahnhof und gehen in die Metrostation. Auf dem Weg fällt schon hier auf, es gibt viel mehr Werbung auch und vor allem von westlichen Ketten. Für 2 Griwna, etwa 20 Cent gibt es einen Metrochip. 2 Rolltreppenminuten später sind wir auf dem Bahnsteig. Die Metro in Minsk ist als einzige der Ex-Sowjetmetros nah an der Oberfläche, hier in Kiew, in Moskau oder St.Petersburg muss man tief nach unten. Ähnlich rasant und laut wie in Minsk, aber mit mehr Werbung und Ansagen sogar auf Englisch geht es zu der Station, von der wir einen Bus zum Tagungszentrum nehmen sollen.

Am Bahnhof fiel schon auf, auch hier gibt es Schnee, so gut geräumt wie in Minsk wird aber hier nicht. Die Schneehöhe scheint mit Minsk vergleichbar. Unter einer Brücke befindet sich eine Art Busbahnhof wo Busse aus der Stadt verkehren. Das Tagungszentrum befindet sich lauf unserem Plan etwa 15 km außerhalb der Stadt. Wir müssen uns zu unserem Bus durchfragen, da das Schild für diese Linie fehlt. Zwischen Schneematsch und gelben Bussen wird auf Holztischen rohes Fleisch verkauft. Immerhin sorgen die Temperaturen für Kühlung.

Man hatte uns vor Ankunft einen Plan gegeben wann unser Bus fährt. Als diese Zeit schon länger verstrichen ist fragen wir wieder bei anderen Leuten nach, die Leute, die auch auf diesen Bus warteten ziehen irgendwann ab, der Bus kommt wohl heute nicht. Man verweist uns aber auf ein Marschrutka (ja, das kommt vom deutschen Wort “Marschroute)”, ein Sammeltaxi oder Privatbus, das auch in diese Richtung fahren soll. Nach über einer Stunde Wartezeit gehen wir also auf die Brücke unter der wir zuvor gewartet haben. Hier führt eine große Ausfallstraße aus der Stadt. Oben angekommen, warten wir auf das Marschrutka mit der Liniennummer 772.

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Wir treffen eine Frau die auch in diese Richtung will. Es schneit jetzt recht heftig, da aber alle 30 Sekunden ein Marschrutka kommt muss man aufpassen um das richtige nicht zu verpassen. Doch unseres ist nicht dabei. Es vergeht eine Stunde. Auch der Marschrutkaverkehr scheint heute nicht recht zu funktionieren. Irgendwann rennt die Frau, die auch in unsere Richtung will los. Gerade hält ein Marschrutka mit einer ähnlichen Nummer, wie das auf das wir eigentlich warten. Wir rennen hinterher. Für eine Hand voll Griwnas kann man mit diesen Sammeltaxis überall hinkommen. Endlich geht es weiter und dazu ist es noch warm und trocken.

Es dauert 30 Minuten bis wir da sind. Unser Reiseziel hat im Marschrutkla die Runde gemacht, ein Mann, der mit uns aussteigt zeigt uns dem Weg. Am Straßenrand liegt mehr als ein halber Meter Schnee. Uns dämmert, dass die Verkehrsprobleme mit dem Wetter zu tun haben. Von der gut ausgebauten Straße zweigt ein Weg in den Wald ab, das Tagungszentrum ist im nächsten Dorf. Wie im besten Wintermärchenfilm stapfen wir durch den wenig geräumten Schnee durch den ukrainischen Wald. Nach einer Weile kommen wir an eine Abzweigung. Glücklicherweise kommt gerade ein LKW, gefragt wo sich unser Ziel befindet schickt uns der Fahrer ins Dorf.

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Im Dorf angekommen, wo außer Hunden keiner zu sehen ist, dämmert uns, das das doch nicht der richtige Hinweis war. Wir finden an einem Haus eine Klingel, die aber eingefroren ist. Nach einer Weile lässt sie sich doch in Bewegung setzte. Die Frau erklärt uns, dass wir doch nicht ins Dorf, sondern geradeaus gehen hätten müssen. Außerdem beklagt sie sich über den fehlenden Strom, versichert uns aber, dass es im Tagungszentrum Strom geben wird.

Also zurück zur Hauptstraße. Tatsächlich finden wir bald das richtige Hinweisschild. Uns kommt noch ein W50 aus DDR-Produktion entgegen und nach geschlagenen 4 Stunden, haben wir die 15 Kilometer vom Bahnhof zum Tagungszentrum bewältigt. 100_2035

Die Leute hier sind überrascht, dass wir den Weg allein geschafft haben. Man sagt uns, in den letzten 24 Stunden sind 40 cm Schnee gefallen, der gesamte Busverkehr aus Kiew heraus wurde eingestellt und auch der Strom hier kommt nur vom Generator und ist ansonsten ausgefallen. Letzte Nacht war man eingeschneit, da der Weg durch den Wald zurück zur Hauptstraße blockiert war. Aber immerhin, wir sind da und haben so die erste Herausforderung bestanden.

Traktorfabrik

Nun wird es dem einen oder anderen schon aufgefallen sein, dass dieses Blog Traktorfabrik heißt. Und auch das Titelbild oben hat vielleicht schon Fragen hervorgerufen.

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Benannt ist das Blog nach der Minsker Traktofabrik (Weißrussich: Мінскі трактарны завод, bzw. Russisch: Минский тракторный завод). Nun ist das aber nicht irgendeine Werkshalle, die in einem Industriegebiet am Rand der Stadt steht. Das Traktorwerk ist vielmehr der prägende Punkt in einem extra dafür gebauten Stadtteil, der komplett darauf ausgerichtet ist.

Am einfachsten erreicht man das Werk mit der Metro, Station Tракторный 3авод, also Traktofabrik. Da sich entlang der Metrolinie noch weitere Fahrzeughersteller befinden heißt diese Linie auch Autowerk-Line (Автозаводская). (Mehr zur Metro in einem separaten Post).

Verlässt man nun die Metro an dieser Station und geht zum Hauptausgang, steht man am Fuß einer Treppe, die nach oben führt. Nach einigen Stufen ist das erste was man draußen sieht ein Traktor. Dieser Traktor steht als Krönung auf der Hauptfassade des Werks, wie man nach weiteren Stufen erkennt. Ist man dann an der Spitze der Treppe angekommen, steht man schließlich mitten auf der Sichtachse, die gerade auf die bestimmt 150 Meter breite Fassade des Werks zuläuft. Siehe dazu das Panoramabild am Anfang dieses Posts.100_1981

Links und rechts neben dem Zentralteil mit dem Traktor auf dem Dach gibt es in perfekter Symmetrie zwei Türme. An der Spitze des einen steht Belarus in lateinischen Buchstaben, Беларус in kyrillisch am anderen. Denn das ist der Markenname der hier produzierten Traktoren. Seit den 1940er Jahren werden hier Traktoren und andere Maschinen dieser Art gefertigt. Ihre größte Zeit hatten sie wohl zu Sowjetzeiten, aber auch heute noch verfügt die Minsker Traktorfabrik in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion über einen Marktanteil von über 50% und ist auch darüber hinaus ein nicht zu vernachlässigender Player auf dem globalen Traktormarkt.

Wenn jemand grade einen Traktor sucht, eine Übersicht der angebotenen “klassischen” Traktoren gibt es hier. Wer z.B. für die Baumwollernte spezielle Technik finden will, kann auch dreirädrige Traktoren bekommen. Alle Traktoren, die in Minsk unterwegs sind, z.B. beim Winterdienst, stammen aus der Schmiede des тракторный завод, und selbst die Miliz (!) (wer weiß was damit weggeräumt wird) hat Traktoren aus einheimischer Produktion.

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Nun aber zurück zur Stadtteilgestaltung. Entlang der kleinen Allee, die von der Metro zum Parkplatz vor dem Werk führt sind Plaketten angebracht, die Auszeichnungen zeigen, die die Traktoren im Laufe der Jahre gewonnen haben. Hätte ich am Tag, als ich das erste Mal zum Traktorwerk kam, auf Wörter tippen müssen die einem in Minsk wohl kaum über dem Weg laufen werden, das Wort Markkleeberg wäre ziemlich weit oben gewesen. Doch die Minsker Traktoren wurden nicht nur auf der Leipziger Messe 1966, sondern auch im Rahmen der AGRA-Ausstellung in Markkleeberg ausgezeichnet, wie hier nachzulesen ist.

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Ist man dann schließlich am Gebäude angekommen, thronen auch links und rechts als Denkmal Traktoren in Lebensgröße. Einer aus den 1940er Jahren und ein neueres Modell aus den 90ern. Außerdem prangt an der Fassade das Gesicht von Wladimir Iljitsch Lenin. Nicht nur erhielt die Fabrik den Leninorden der Sowjetunion, sie ist auch offiziell nach ihm benannt.

Wendet man Lenin den Rücken zu und dreht sich zur Stadt um, sieht man ein großes Wohngebiet, an dessen zentralem Platz eben die Fabrik steht, an dem sich aber u.a. auch der Kulturpalast der Fabrik und eine Art technische Hochschule befinden, an der Wohl die Traktorbauer der Zukunft ausgebildet werden.

Minsk – ein Wintermärchen

100_2005Die Überschrift möchte sagen: Es gibt hier seit einer Woche Schnee. Der erste Schnee fiel hier glaube ich letzte Woche Dienstag oder Mittwoch. Vor irgendjemandem habe ich auf die Bemerkung, dass ich erst eine Woche hier bin gehört, ich hätte den Schnee aus Deutschland mitgebracht.

Seit mindestens 24 Stunden schneit es jetzt mehr oder weniger intensiv praktisch ohne Pause. Es liegen mindestens geschätzte 30 cm. Natürlich nur dort wo nicht geräumt wird. Das Überqueren von Straßen ist nicht mehr überall möglich, da Schneehaufen den Straßenrand säumen. Das öffentliche Leben funktioniert aber weitgehend reibungslos, was z.B. die öffentlichen Verkehrsmittel betrifft.

Der Winterdienst ist hier ziemlich aktiv. Mensch und Material kommen dabei reichlich zum Einsatz. Es gibt einzelne Arbeiter oder auch Trupps (der Stadtreinigung?) die überall, auch in Wohngebieten, unterwegs sind, und sich mit Hilfe von Schneeschaufeln der Beseitigung von Schnee hingeben.

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An zentralen Orten, vor allem im Stadtzentrum kommt aber auch einiges an Technik zum Einsatz. Neben Traktoren (mehr dazu bald in einem separaten Post, schließlich heißt dieses Blog nicht ohne Grund Traktorfabrik!) und Radladern, gibt es spezielle Förderbandfahrzeuge, die den zuvor von den Radladern in lange Reihen geschobenen Schnee mit Armen/Schaufeln auf besagtes Förderband befördern. Nebenher fährt dann wie bei einem Mähdrescher auf dem Feld ein LKW, der den Schnee sammelt. Dieser wird dann aus der Stadt gefahren, wo er wahrscheinlich zum Transport in die Zentralafrikanische Republik verpackt wird. Näheres über den Verbleib des Schnees war jedenfalls zu Redaktionsschluss nicht bekannt.

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Um mit diesem Post ein weiteres Thema abdecken zu können lohnt eine Vorbemerkung. Teil meines Programms hier ist ein Russisch-Sprachkurs. Dreimal in der Woche habe ich  direkt in den Räumen der Organisation für die ich arbeite diesen Kurs. Da ich der einzige auf meinem Niveau bin habe ich Einzelunterricht, bei einem jungen Dozenten, der auch exzellentes Deutsch spricht.

Eines der Wörter, die wir dort zuletzt besprochen haben ist das Wort столовая, auf Deutsch: Mensa oder Kantine. Da ich tagsüber oft in der Stadt bin und es nicht lohnt zum Essen nach Hause zu fahren habe ich nach einer günstigen Möglichkeit gesucht und bin dann auf die Idee gekommen, dass doch Mensen günstig sind.

Ich habe mich dann bei verschiedenen einheimischen Leuten, die ich kenne erkundigt und so ergab sich eine Liste. Da es gleich mehrere Unis im Zentrum gibt, bzw. verschiedene Gebäudekomplexe die teilweise zur gleichen Uni gehören, sind in direkter Nähe zum Büro meiner Organisation verschiedene Möglichkeiten gegeben. Den Berichten nach gibt es auch öffentlich zugängliche Kantinen von Ministerien oder anderen staatlichen Bürokratien.

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Lange Rede kurzer Sinn, dies ist der Beginn einer Serie über das Mensa-Essen in Minsk, oder anglo-russifiziert: Cтоловая-Testing.

Zuerst war ich heute in der Mensa des Hauptgebäudes der Weißrussischen Staatsuniversität (Weißrussisch: Беларускі дзяржаўны унівeрсiтэт, bzw. Russisch: Белорусский государственный университет). Sie ist direkt an einem der zentralen Plätze von Minsk gelegen, dem Unabhängigkeitsplatz. Früher hieß der wie der zentrale Platz in jeder Stadt der Sowjetunion … richtig: Leninplatz. In Minsk blieb es allein bei der Namensänderung, die Leninstatue steht immer noch da.

Aber zurück zu Mensa. Ich folgte den Hinweisen, die ich bekommen hatte und ging in Richtung des ersten Treppenhauses, das ich finden konnte, denn die Mensa sollte sich im Keller befinden. Und siehe da, an der Treppe nach unten befand sich ein Schild mit der Aufschrift “cтоловая”. Das alles war bereits gegen 15 Uhr nachmittags, aber glücklicherweise hat die Mensa durchgehend von 9.30 bis 17 Uhr geöffnet.

Nachdem man durch die Eingangstür gegangen war, kam man in einen schmalen Flur mit der Essensausgabe. Ich hatte mich vorher über Preisniveau und Umfang der Mahlzeiten informiert und wusste so, dass ein Essen aus Salat, Suppe, Hauptgericht und süßer Nachspeise, sowie einem Getränk, bestehen kann. All das konnte man sich glücklicherweise zum größten Teil ohne viel (Russisch) zu sprechen aus der Theke nehmen. So stand ich schließlich mit einen gut gefüllten Tablett in der Kasse und bezahlte 15600 weißrussische Rubel. (Mit dem Geld wird sich in Zukunft ein separater Post beschäftigen). Umgerechnet sind das etwa 1,40€.

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Ich balancierte mein Tablett also in den neben der Essensausgabe gelegenen Speisesaal, der durchaus überschaubar war, und vielleicht Platz für maximal 100 Leute bietet. Glücklicherweise war die Rushhour wie beschrieben bereits vorbei, sodass die Platzsuche kein Problem war. Anschließend entstand das hier zu sehende Foto. Für meine 140 Cent bekam ich also einen Weißkohl-lastigen Rohkostsalat, einen Teller Borsch (ja, das ist im Russischen die richtige Aussprache, lediglich im Weißrussischen wäre es ein hartes Borschtsch), ein Hauptgericht aus paniertem Fisch mit einer Kohlenhydrat-haltigen Beilage und ein süßes Stück Gebäck. Darüberhinaus ein Getränk. Zu verzehren war das Ganze mit Besteck aus einem Hauch von Aluminium. Also sehr dünnes Alu-Besteck. Gespart wurde nicht nur an der Materialstärke, sondern auch an den Messern. Die gab es nämlich nicht. Darüberhinaus erforderte die Konsistenz des Essens aber auch gar kein Messer.

Mit Löffel und Gabel bewaffnet ging es also an Essen: Zur Qualität: Weißkohl-lastiger Rohkostsalat: solide bis gut; Borsch: etwas fade gewürzt, aber grundsätzlich solide, Hauptgericht: Fisch: ganz nett (ich weiß nicht genau was es war, aber sowas habe ich wohl seit über 10 Jahren nicht mehr gegessen, erinnerte mich an irgendetwas aus dem Schulessen), die Beilage war weder nach Aussehen noch nach Geschmack näher zu identifizieren, Gebäck: solide bis gut. Bei dem Limonade-artigen Getränk, an dessen Boden Fruchtstücke schwammen, habe ich auch länger darüber nachgedacht was es sein könnte, bin aber zu keinem Ergebnis gekommen.

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Durch die Beobachtung der “Mitesser” wusste ich was nach Beendigung des Essens mit Tablett und Geschirr zu tun war. Geschirr und Besteck werden auf eine Durchreiche gestellt wo es eine mittelschwere Weißrussin dem Abwasch zuführt. Des Tabletts konnte man sich am Ausgang entledigen.

Und jetzt das lang erwartete Fazit: Definitiv gutes Preis-Leistungs-Verhältnis (auch, aber nicht nur für diesen Teil der Stadt) und darüber hinaus ein interessantes Erlebnis. Ich habe schon für wesentlich mehr Geld bestenfalls genauso und vor allem weniger gegessen.

Fortsetzung folgt…

Wer hat die Ampeln gepresst?

 

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Ein kleiner Post zu Unterschieden oder Besonderheiten im Alltagsleben. Viele der Ampeln sehen so aus wie auf dem Bild. Sie sind flache Tafeln mit LED-Leuchten. Es gibt zwar auch andere “altmodische”, die wie richtige Ampeln aussehen und wesentlich tiefer sind, aber viele sehen eben so aus. Darüberhinaus gibt es an vielen (Fußgänger-)Ampeln Anzeigen, die die Sekunden anzeigen wie lange noch Grün bzw. Rot ist und während der letzten 10 Sekunden anfangen zu blinken.

Ostwärts!

Weißrussland liegt gefühlt sehr weit ostwärts. Wer jedoch mit dem Lineal auf der Landkarte nachmisst, wird feststellen, der östlichste Punkt Deutschlands und der westlichste Punkt Weißrusslands liegen nur 600 km auseinander. In Deutschland kann man viel weiter unterwegs sein.

Seit 2011 gibt es (wieder) eine direkte Verbindung von Berlin und Minsk. Der Zug wird von der russischen Staatsbahn betrieben und fährt von Paris nach Moskau. Die Strecke gab es schon zu Sowjetzeiten und davor beim Zaren. Mit Ende des Kalten Krieges musste sich auch die russische Bahn warm anziehen und die Route wurde eingestellt.

Gegen 22 Uhr geht es in Berlin los. Letzter Stop in Deutschland ist Frankfurt an der Oder. (Laut Pressemitteilung der russischen Nachrichten Agentur RIA NOVOSTI übrigens Frankfurt am Oder). Wer früh aufsteht kann auch von verschiedenen polnischen Städten bis nach Moskau fahren. Um 4 Uhr ist der Zug z.B. in Warschau. Etwa 6.15 Uhr kündigt die Providniza (Schaffnerin) die bevorstehende Grenzkontrolle an und die Nacht ist erstmal zu Ende. Für jeden Wagen, der aus 8 bis 10 3er und 4er Abteilen besteht, ist eine solche Schaffnerin zuständig. Sie heißt zwar nicht Sweta, wie in meinem Reiseführer beschrieben, aber immerhin spricht sie kein Englisch – oder irgendwas außer Russisch. Hier hatte der Reiseführer recht.

Kurz nach 7 Uhr kommt der Zug im polnischen Grenzbahnhof Terespol zum Stehen. Hier am östlichen Ende der Mitteleuropäischen Zeitzone ist es auch im Dezember zu dieser Tageszeit schon recht hell. Terespol hat nur etwa 6000 Einwohner und der einzige Grund, der die Stadt auf die Landkarte bringt ist die Grenzstation. Die polnischen Grenzer steigen ein und führen die Kontrolle durch, mit der man den Schengen-Raum verlässt. Die Kontrolle ist kurz, aber technologisch recht ausgereift, die EU hat aufgerüstet. Die Dokumente werden auf Echtheit geprüft und auch ob die dazugehörige Person wirklich im Zug ist.

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Dann setzt sich der Zug wieder in Bewegung und rollt auf einer eingleisigen Brücke über den Bug, der Polen und Weißrussland trennt. Nach vielleicht 700 Metern Fahrt steht er wieder. Die weißrussischen Grenzer und Zöllner und Grenzer kommen in den Zug. Die Pässe werden eingesammelt. Ein Zöllner schaut kurz auf meine Taschen, hebt eine an und fragt was da drin ist. “Kleidung”, sage ich. Damit ist er zufrieden. Sonntag um 8 Uhr hat man auch hier nicht die allergrößte Lust in fremder Leute Zeug zu wühlen. Dann gilt das das hochoffizielle Einreisedokument auszufüllen, die Migrationskarte. Ein in schwarzweiß kopierter Zettel im A6 Format. Der Grenzer kommt mit dem Pass zurück, reißt mit der Hand eine Hälfte der Migrationskarte ab und stempelt Pass und Karte. Die eine Hälfte der Karte bleibt bis zur nächsten Ausreise im Pass. Ende der Kontrolle.

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Der Zug fährt wieder einige Meter. Diesmal in eine Halle. Hier wird von der europäischen auf die russischen Spurweite umgespurt. Es werden also die Drehgestelle der Wagons ausgetauscht. Nach einiger Zeit ist auch das erledigt und der Zug rollt erneut etwas weiter. In den Bahnhof von Brest, der Grenzstadt auf der weißrussischen Seite. Hier hat er mehr als zwei Stunden Aufenthalt. Kurz nach 12 Uhr geht es dann richtig weiter. In den letzten dreieinhalb Stunden ist der Zug etwa 2 Kilometer gefahren. Zu beachten ist hier, dass es mit Überquerung des Bug zwei Stunden später wurde.

Die letzten drei Stunden der Reise geht es ohne weiteren Halt vorbei an weißrussischen Dörfern. Um kurz vor 16 Uhr rollt der Zug schließlich im Bahnhof von Minsk ein. Ich bin da. 100_1857