Die Chinesen kommen

Schaut man heute auf das Kleingedruckte vieler Produkte, egal ob Textilien oder Elektronik, findet sich dort der Hinweis “Made in China”. China ist die Werkbank der Welt und stellt in seinen Fabriken billig das her was man woanders billig kaufen will. Belarus hat seine Wirtschaft bisher recht ausgiebig vor ausländischer Konkurrenz geschützt. Viele Dinge, auch sehr einfacher Art wie eben die besagten Textilien, Streichhölzer oder Schreibwaren, werden im Land herstellt. Es gibt übrigens eine Paper/Schreibwarenfabrik namens “Roter Stern”.

Doch China drängt nach Belarus. Da der Staat hier notorisch klamm ist, steht er ausländischen Investitionen recht aufgeschlossen gegenüber. In der Tat wird heute schon so manches aus China importiert. So brachte China z.B. den Krieg ins Kinderzimmer. Es gibt ein chinesisches Lego-Imitat, welches u.a. Flugzeugträger und Panzer zu bieten hat. Man könnte auch sagen, China nahm den Kriegstrend gerne auf, soll heißen ich habe das Gefühl es gibt hier allgemein mehr Kriegsspielzeug für die Kleinen im Angebot.

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Chinesische Autohersteller versuchten sich innerhalb der letzten Jahre auch auf dem europäischen Markt. Doch nachdem beim Crashtest zwischen Wand und Auto eindeutig erstere gewann, war das Image der Autos ruiniert. Chinesische Fabrikate sind in Europa also praktisch unbekannt. Anders in Belarus. Hier hat China bereits Fuß gefasst. Autos aus China sind nichts all zu ungewöhnliches. Oft hat man das Gefühl man kennt die Form von irgendeinem anderen Auto, scheinbar lehnt man sich manchmal an die Formensprache anderer Hersteller an. Selbst die Polizei fährt neben Lada, Skoda oder Opel teilweise chinesische Marken. Entweder werden die Autos fertig importiert, z.B. im Fall des Herstellers Geely werden die Teile aber auch hierher verschifft und dann von der Joint-Venture-Firma “Bel-Gee” zusammengebaut. Ausschlaggebend ist natürlich der Preis. Ein neuer Geely kostet etwa $13.000, also knapp €10.000. Dazu muss man wissen, dass Autos – neu wie gebraucht – in der Regel teurer sind als in Europa. Wer eine Geschäftsidee sucht, besonders Kleinbusse sind teuer und kosten auch gebraucht das drei oder vielfache des Preises in Europa.

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Auch wird in Minsk gerade von einem chinesischen Investor das Hotel “Peking” gebaut. Größtes Projekt Chinas in Belarus ist jedoch ein geplanter riesiger Industriepark. Dort sollen steuerbegünstigt in zahlreichen Fabriken diverse Produkte herstellt werden. Bedingung für chinesische Investitionen ist dabei fast immer, dass nicht nur das Geld, sondern auch die Arbeiter aus China kommen. Sie werden also mitgebracht. Chinesen sind also die größte Gruppe der Ausländer in Belarus. Es gibt auch recht viele chinesische Studenten an den Universitäten. Die Sprache Chinesisch wird durchaus auch an Schulen als Fremdsprache angeboten. All das wird von den Einheimischen nicht unbedingt positiv gesehen, Belarus ist eine ziemlich homogene Gesellschaft, Migration ist ein recht neues Phänomen an das man noch nicht gewöhnt ist. Zurück zu dem Industriepark. Es sollen dort bis zu 30 Mrd. Dollar investiert werden. Zum Bau werden bis zu 650.000 chinesische Arbeiter ins Land kommen. Zum Vergleich Belarus hat knapp 10 Mio Einwohner. China hat hier also abschließend schon deutlich mehr Fuß gefasst als z.B. in Europa.

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Der höchste Feiertag

Seit besagtem höchstem Feiertag der Republik Belarus sind zwar schon einige Wochen vergangen, ein Rückblick lohnt sich aber trotzdem. Es ist der Tag der Unabhängigkeit, begangen wird er am 3. Juli. Wovon wurde man unabhängig? Wer keine vertieften Belarus-Kenntnisse hat, der wird kurz nachdenken und wohl zu folgendem Schluss kommen. Belarus ist heute ein unabhängiger Staat, der früher zur Sowjetunion gehörte. Also wird man wohl dem Tag der Unabhängigkeitserklärung von der SU gedenken. Bis 1997 stimmte das, allerdings feierte man damals dreieinhalb Wochen später, am 27. Juli. An besagtem Tag erklärte sich Belarus 1990 für unabhängig. Warum dann heute der 3. Juli?000_0284

Auch dieser Tag ist schon lange ein besonderer Tag, zumindest in Minsk. Es war über Jahrzehnte der Tag des Stadtfestes. Gedacht wurde der Befreiung vom Hitler-Faschismus mit dem Sieg über die Okkupanten am 3. Juli 1944. In einem Land, in dem noch heute allein in Minsk sechs Lenin-Denkmäler stehen und der Präsidentenpalast an der Kreuzung von Marx- und Engels-Straße steht (kein Scherz) passte die Unabhängigkeitserklärung von der Sowjetunion 1997 nicht mehr ins Bild, und die Stadt Minsk musste ihr Stadtfest auf September verschieben. Der 3. Juli gehörte jetzt dem ganzen Land.

Schon in den Wochen vor diesem Tag wird Minsk – und wohl das ganze Land – in bunten Farben und mit großen Spruchbändern geschmückt. Ähnliches passiert auch zu anderen Feiertagen, aber nicht ganz in diesem Umfang. An hohen Gebäuden werden in ganzer Länge die Fassaden mit Plakaten zugehangen, die Anstreichtrupps streichen alles was nicht bei drei auf den Bäumen ist neu an. Alles wird herausgeputzt.

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Etwa eine Woche vor dem Tag merken die Minsker, dass die heiße Phase begonnen hat. Zu jeder Tages- und Nachtzeit kann man von einem lauten Grollen überrascht werden. Kommt man näher, biegt um eine Häuserecke auf einer der zentralen Straßen, bekommt man Mittelstreckenrakteten, Panzer und andere Kettenfahrzeuge zu sehen. Die Minsker Garnison trainiert für die große Militärparade. Den Asphalt der Straßen freut das nicht besonders. Dafür werden auch im Berufsverkehr Hauptstraßen für längere Zeit und ohne besondere Vorankündigung geschlossen. Doch nicht nur am Boden wird Sowjettechnik ausprobiert, auch am Himmel erstreckt sich das Spektakel. Wer also noch nie Formationen von Kampfjets des Typs Suchoi in 150 Metern Höhe mit 700 km/h vorbeidonnern sah und hörte, kann das Anfang Juli in Minsk trainieren. Wem die Kopfbewegung zu schnell geht, für den gibt es auch Hubschrauber. Die sind langsamer.

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Am schon angesprochenen 3. Juli ist es dann soweit. Schon früh machen sich viele Minsker auf zum Ort der Parade. Im Gegensatz zum 9. Mai, dem Tag des Sieges, gibt es an dieser Parade durchaus Interesse. Auch großer Menschenandrang ist kein Grund die Leute schnell und effizient zu kontrollieren. Wer den Beginn der Parade nicht an der Einlasskontrolle erleben will, war mindestens zweieinhalb Stunden vorher da.

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Über die Kreuzung am “Prospekt der Sieger” rollt dann wie eingeübt allerlei Technik. Mit Ausnahme einiger chinesischer Jeeps fast alles noch aus Sowjetzeiten, auch wenn sich der Sprecher bemüht zu betonen wie aktuell und welteinzigartig alles ist. Doch nicht allein Militärtechnik ist zu sehen. Auch andere Erzeugnisse aus einheimischer Produktion. So rollen irgendwann nicht nur LKWs und Traktoren, sondern auch Kühlschränke und andere Haushaltsgeräte vorbei. Den Abschluss bilden Sportler die unter den Augen nicht nur des einheimischen, sondern auch der Präsidenten von Venezuela und Laos – sie sind in diesem Jahr extra angereist um Kühlschränke zu sehen – die Mittagshitze marschierend zu erleben.

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Nach Abschluss des Spektakels kann der Minsker noch zu einer der viele Bühnen gehen und Pop-Musik im Stil der 90er Jahre hören und abends ein großes Feuerwerk sehen, das an vielen Stellen der Stadt gleichzeitig abgefeuert wird.

Wer jetzt Lust bekommen hat die Parade in bewegten Bildern und voller Länge zu sehen, kann dies hier tun:

Wem Lenin nicht genug ist

In den Straßen und auf dem Plätzen von Belarus findet man wie in diesem Blog schon wiederholt beschrieben die eine oder andere Statue Lenins. Auch General Schukow oder Felix Dserschinski sind in Metall gegossen hier zu finden. Wem diese nicht genug sind, der muss dem folgenden Motto folgen: Willst du Josef Stalin sehen, musst du ins Azgur-Museum gehen.

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Wem also in der Tat Lenin, Schukow oder Dserschinski als Büstenköpfe des Kommunismus nicht genug sind, der findet im Museum des belarussischen Bildhauers Zair Azgur auch Stalin, Mao oder Kim Il Sung. Azgur wurde schon zu Lebzeiten ein eigenes Museum gewidmet. Es steht in der Azgur-Straße 8. Er war praktisch während der gesamten Zeit der Sowjetunion aktiv und modellierte so ziemlich alles was in den Jahrzehnten Rang und Namen hatte. Sein Leben passte praktisch perfekt ins Timing der Sowjetunion. Nach Ausbildung in Vitebsk und Leningrad war er seit den 1920er Jahren sehr produktiv. Fast zeitgleich mit dem Ende der Sowjetunion kam auch sein eigenes. 1995. Zugegebenermaßen war er da auch schon über achtzig.

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Neben einigen Originalen sind im Museum vor allem die Gips-Modelle seiner Skulpturen zu sehen. Die Originale sind heute noch an so manch prominenter Stelle in Minsk zu sehen. Eines der bekanntesten wohl das überlebensgroße Denkmal des Schriftstellers Jakub Kolas am gleichnamigen Platz. Bis zur Destalinisierung stand auf dem zentralen Platz Minsks auch eine Statue des später Destalinisierten. Das überlebensgroße Gipsmodell ist im Museum zu sehen, das Original ist seit dieser Zeit übrigens verschollen. Es gibt aber noch mehr Darstellungen Josef Wissarionowitsch Stalins. Noch häufiger noch ist Lenin im Museum zu finden. Nur Kopf oder mit Körper. Ebenso die riesigen Köpfe von Marx und Lenin die einst vor dem Hauptquartier der Belarussischen KP standen. Sie verschwanden als einige wenige Denkmäler nach Ende der BSSR aus dem Straßenbild und wanderten hier ins Museum.

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Daneben interessanterweise auch diverse nicht kommunistische Staatsmänner und auch deutsche Philosophen und Schriftsteller wie Kant, Herder, Mann oder Brecht. Auf den Hinweisschildern findet sich so manche Stilblüte. So gab es offenbar einen DDR-Präsidenten namens “Pick”, interessanter noch: die Herrschaft Kim Il Sungs in Nordkorea endete von der Weltöffentlichkeit unbemerkt scheinbar erst 2005 und nicht wie so oft behauptet 1994. Bemerkenswert auch, dass die Beschriftungen nicht nur auf Russisch, sondern auch in englischer Sprache zu lesen sind. Selbst in großen Museen ist dies hier in der Regel nicht der Fall.

Und sonst so in Belarus (V): Grodno

Die Serie “Und sonst so in Belarus” widmet sich nach Brest nun erneut einer Gebietshauptstadt: Grodno. Dazu muss man wissen, dass Belarus in sechs Verwaltungseinheiten, sogenannte Oblaste (Gebiete; Russisch: область, Belarussisch вобласць) unterteilt ist. Hinzu kommt noch die Stadt Minsk als extra Gebietseinheit. Alle sechs Gebiete sind jeweils nach ihrer Hauptstadt benannt, der jeweils größten Stadt dort.

Grodno liegt im Nordwesten von Belarus, in einem Radius von 30 km sind die Grenzen zu Polen und Litauen. Die Stadt hat etwa 330.000 Einwohner und ist von Minsk aus am besten mit dem Bus zu erreichen. Es gibt zwar auch Züge, aber die Verbindung ist nicht so gut. So muss man oft für die 300 km den Nachtzug nehmen, oder den ganzen Tag im Zug verbringen. Der Busverkehr in Belarus ist recht gut ausgebaut. Es fahren ständig Busse in die diversesten Städte und Dörfer. Und das nicht nur zwei oder dreimal am Tag, wie die Züge in manche Regionen, sondern oft alle halbe Stunde. Auf der anderen Seite sind Busse aber auch teurer, in der Regel um ein mehrfaches im Vergleich zum Zug.

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Hat man also reichlich drei Stunden im Bus verbracht steht man am Busbahnhof von Grodno. Jede Stadt hat einen solchen Busbahnhof, in Minsk gibt es sogar mehrere. In fußläufiger Entfernung befindet sich das Stadtzentrum. Hier fällt eines gleich auf. Der große Unterschied zu weiten Teilen von Belarus. Wenn man Leute fragt welche Stadt im Land am besuchenswertesten ist, so wird in der Regel Grodno genannt. Die Stadt ist relativ unzerstört erhalten geblieben. Es gibt viele alte Gebäude. Und das nicht nur vereinzelt, sondern in Form einer regelrechten Altstadt.

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Ein Teil der Altstadt erstreckt sich entlang eines langgezogenen Platzes, teilweise gibt es hier auch hier auch neuere Bebauung. Auffallend ist z.B. das dynamischste Panzerdenkmal in Belarus. Der Panzer vom Erfolgsmodell T 34 scheint auf seinem Podest fast die Straße entlang zu fliegen. Flöge er wirklich, käme er bald an dem Theater vorbei, für das Grodno bekannt ist und stünde dann am Fluss. Neben der Altstadt hat Grodno auch sonst ein interessante Topografie zu bieten. Die Stadt liegt recht hoch über einem Fluss, der im Russischen Неман heißt. Der deutsche Name ist Memel. Über das Tal bietet sich ein interessanter Panoramablick auf die Stadt. Auf dem Fluss bietet ein Ausflugsboot Rundfahrten an, inklusive russischer Popmusik im Stil der 90er Jahre und allerlei Dieselqualm.

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Macht besagter Panzer nun wieder kehrt, erhebt sich wieder zum Flug, an einem Podest und einer für Belarus sehr ungewöhnlichen Barockkirche vorbei kommt er in die Fußgängerzone. Sie bietet fast so etwas wie urbanes Flair, links und rechts stehen alte Häuser, auf der Straße sind viele Menschen unterwegs, es gibt viele Cafés und Restaurants. Eine solche Straße fehlt in Minsk.

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Flöge der Panzer nun weiter müsste er noch einmal rechts und dann nochmal links abbiegen um jetzt erst zum Lenin-Platz zu kommen. Im Gegensatz zu manch anderer Stadt muss man diesen Platz regelrecht suchen.

Lenin muss sich gegen den Sturm wehren, der ihm den Wind der Veränderung ins Gesicht bläst. Sein Mantel flattert im Wind. Er hat seine Mütze auf und überlegt sich vielleicht noch ob er gleich die Hand ausstrecken wird um den rechten Weg zum Kommunismus zu weisen.

Kyrillisches Englisch

Ich habe noch keinen in Belarus getroffen, der nicht mit dem lateinischen Alphabet vertraut war. Wenn auch nicht extrem viele all zu belastbare Fremdsprachenkenntnisse haben – es ist ein weit entfernter Wunschtraum in der Hauptstadt des Landes am Hauptbahnhof ein Ticket ohne Russischkenntnisse zu kaufen (P.S.: im nächsten Jahr findet die Eishockey-Weltmeisterschaft in Minsk statt) – kann wohl zumindest jeder lateinische Buchstaben lesen.

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Da es aber trotzdem die beiden Alphabete gibt, werden aus irgendeinem Grund manche Schilder und Bezeichnungen nicht übersetzt, sondern einfach im anderen Alphabet wiedergegeben. Dies führt zu einigen Stilblüten. Um sich diesen Post, bzw. vor allem die Bilder voll erschließen zu können, sind zweifellos Kyrillischkenntnisse notwendig. In bester Deutscher-Bahn-Manier à la “Säng ju for träweling wis Deutsche Bahn” kann man z.B. “Smusis” kaufen. Besser bekannt also Smoothies. Besonders interessant ist auch das Konzertplakat unten und die jeweils in Klammern wiederholten Bandnamen im kyrillischen Alphabet. Wer im Englischunterricht – den viele Kinder in Belarus heute schon in den ersten Klassen haben – nicht aufgepasst hat, für den ist “Буллет фор май валентайн” eine ziemlich sinnlose Buchstabenkombination.

Interessant auch wie Laute bzw. Buchstaben wiedergegeben werden, die im Russischen nicht existieren. So kann man z.B. auch in Minsker Buchläden Bücher des amerikanischen Inverstors “Уоррен Баффетт” kaufen. Der englische Vorname Warren wird also in zu etwa zu Uorren.

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Zwei Wochen im Sommer

Hört der Belarusse die Zeitspanne von zwei Wochen, das Wort Sommer und sieht zusätzlich noch ein Bild von einem Wasserhahn, weiß er was gemeint ist. In Belarus wird in jedem Haus im Sommer für zwei Wochen das warme Wasser abgestellt. Grund sind jährlich notwendige Reparaturarbeiten an der Warmwasserversorgung.

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Wann genau diese Zeitspanne beginnt, ist in jedem Stadtteil anders. Es wird also nicht in einer ganzen Stadt zur gleichen Zeit das warme Wasser abgestellt, zumindest nicht in Minsk. Die Einheimischen sind daran gewöhnt und stellen sich darauf ein. Entweder man findet mit Strom oder Gas und Wasserkanistern Improvisationsmöglichkeiten um im eigenen Haus warmes Wasser zu erzeugen oder man schließt sich der Schar der Duschtouristen an, die Freunde, Bekannte und Familienangehörige aufsuchen um das dort vorhandene warme Wasser zu nutzen, und umgekehrt.

Hartgesottene können natürlich immer auf das weiterhin fließend vorhandene 8 Grad kalte Nass aus dem Hahn zurückgreifen.

Und sonst so in Belarus (IV): Borisow

Nach der Kleinstadt Zaslawl wird die Serie “Und sonst so in Belarus” nun wieder mit einer etwas größeren Stadt fortgesetzt: Borisow. Etwa 150.000 Einwohner. 80 Kilometer nordöstlich von Minsk. Fahrzeit mit der Elektrischka 60 bis 90 Minuten, je nach Anzahl der Zwischenhalte. Preis etwa 5000 Rubel, ca. 50 Cent.

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Gewisse Bekanntheit erlangte die Stadt zuletzt durch die hier ansässige Fußballmannschaft: BATE Borisow. Benannt nach der Borisower Auto-, Traktor- und Elektronikfabrik. Die Mannschaft wurde schon mehrfach Meister in Belarus und spielte auch wiederholt international. In der letzten Saison in der Championsleague. Gegner war u.a. Bayern München. Spielresultat des Heimspiels 3:1 für Borisow. Wobei dieses Heimspiel in Minsk stattfand, da das lokale Station nicht internationalen Kriterien entspricht und auch nur etwa 5000 Plätze hat.

In der Stadt angekommen begrüßt den Besucher am Bahnhofsvorplatz ein Schild, dass die sowjetischen Orden rühmt, die die Stadt gewonnen hat. Folgt man dann der Hauptstraße ins Zentrum – dem Prospekt der Revolution – kommt man zum wichtigsten Platz der Stadt, dem Lenin-Platz. Lenin hat die rechte Hand erhoben und spricht über den richtigen Weg zum Kommunismus. Hinter ihm ist ein Gebäude, dass die lokale Armeeverwaltung beherbergt und vor dem eine rote Fahne wehrt. In ähnlichem Stil befinden sich weitere Gebäude in diesem teil der Stadt. Zuckerbäckerstil, gemischt aber auch mit neueren Gebäuden. Am Lenin-Platz befindet sich auch die Stadtverwaltung an deren Gebäude in ganzer Breite der Schriftzeug “Der Staat – Für das Volk” prangt.

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Doch hat die Stadt auch noch andere Teile. Schnell ist man etwas außerhalb und am Fluss. Er heißt Beresina schlängelt sich durch ein breites Tal und ist ein beliebter Badeort. Geht man über eine der Brücken ist man im alten Teil von Borisow. Alte kleine Holzhäuser sind erhalten. Geht man weiter kommt man auf den Hauptplatz der Altstadt. Dort steht zwar nicht Lenin aber immerhin Fürst Boris, der der Stadt den Namen gab. Hinter ihm eine die orthodoxe Hauptkirche der Stadt. In den Straßen um den Platz ist allerlei Ziegelarchitekur aus dem 19. Jahrhundert stehengeblieben und vermittelt sogar etwas Atmosphäre einer älteren slawischen Stadt. Allgemein ist vieles noch recht authentisch und nicht kaputt saniert. Vor diesem Hintergrund ist Borisow wirklich ein empfehlenswerter Tagesausflug. 

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Als Hase fahren

Dieser Post beschäftigt sich mit der Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel in Belarus. Der Titel mag auf den ersten Blick eigenartig erscheinen. Er geht aus der russischen Formulierung ездить зайцем hervor, wörtlich übersetzt: als Hase fahren. Im Russischen fährt man also als Hase, im Deutschen fahrt man schwarz.

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Die Fahrt als Hase ist dabei in Belarus. Ein durchaus kalkulierbares Risiko. Kontrollen gibt es in den Bussen und Bahnen relativ selten. Wer mit offenen Augen fährt kann Kontrolleure leicht erkennen. Sie tragen deutlich sichtbare Warnwesten. Wer trotzdem erwischt wird, zahlt eine Strafe von 20.000 Rubel. (Im Russischen verwendet man übrigens das aus dem deutschen stammende Wort штраф, [Schtraf]). Gegenwert der Strafe etwa 1,80 Euro. Recht oft folgt nach nach der Identifizierung eines Hasen eine Diskussion, kaum einer zahlt freiwillig. Die Kontrolleure sind recht unmotiviert und auf die Idee die Polizei zu rufen kommt bei den geringen Beträgen auch keiner. In der Regel endet die Diskussion mit dem Aussteigen des Hasen an der nächsten Haltestelle. Man beachte nebenbei, die Strafe fürs Schwarzfahren kostet weniger als ein normales Ticket in Deutschland. Was kostest ein normales Ticket hier? Derzeit 2000 Rubel, also etwa 18 Cent. Wie bekommt man ein Ticket? Entweder man kauf es an einem der vielen Kioske, die es fast an jeder Haltestelle gibt, oder man kauft es beim Konduktor.

konduktorWer oder was ist dieser sagenumwobene Konduktor? Es ist in der Regel eine mittelalte Frau – man ist fast geneigt zu sagen: Einstellungsvorraussetzung Übergewicht – die sich durch fast jeden Bus schlängelt und Tickets verkauft. Also ein Busschaffner. Bezahlung und Sozialprestige der Kondukoren sind gleich niedrig. Trotzdem ein riesiges öffentliches Beschäftigungsprogramm, man stelle sich vor wie viele Busse es im ganzen Land gibt und in (fast) jedem gibt es neben dem Fahrer noch diesen Konduktor, übrigens ebenfalls an der farbigen Warnweste zu erkennen. Manche Konduktoren sind sehr aktiv fragen jeden ob er ein Ticket hat oder haben will, andere warten darauf, dass man zu ihnen kommt. Ein Konduktorenticket (auf dem Bild rechts, blau) sieht übrigens anders aus als ein Kioskticket (auf dem Bild links, braun), das Kioskticket muss noch entwertet werden. Dies passiert im Bus. Dort gibt es “Locher” die ein Lochmuster ins Ticket stanzen, nicht jedoch einen Stempel, der angibt wann man eingestiegen ist. Dem Experten wird auffallen, dass beiden hier zusehende Tickets nicht aus der gleichen Zeit stammen. Das blaue Konduktorenticket stammt noch aus der Zeit vor der letzten Fahrpreiserhöhung, als das Einzelticket noch 1700 Rubel kostete.

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Interessant ist das Ticketsystems auch allgemein. Man bezahlt nicht wie oft in Deutschland für eine gewisse Zeit und kann in dieser Zeit umsteigen so oft man will. Vielmehr muss man für jede Einzelfahrt, also nach jedem Umsteigen neu zahlen. Fährt man mit zwei verschiedenen Bussen oder Bahnen je eine Haltestelle, zahlt man zweimal. Jedenfalls wenn der Konduktor schnell genug da war. Eine Einzelfahrt kann trotzdem mehr als eine Stunde dauern, steigt man an der ersten Haltestelle einer Linie ein, kann man bis zur Endstation fahren.

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Weitere Eigenheit des Ticketsystems ist, dass es 16 verschiedene Monatskarten gibt. Dazu sei erstmal gesagt, dass es in Minsk vier verschiedene Transportmittel gibt. Metro, Straßenbahn, Bus und Trolleybus. Trolleybusse sehen aus wie normale Busse fahren aber wie Straßenbahnen, also elektrisch und mit Oberleitung. Für jedes Verkehrsmittel gibt es eine separate Monatskarte, und eben alle Kombinationen. Macht zusammen 16. Ebenfalls nicht extrem logisch ist, dass es Liniennummer bei jedem Verkehrsmittel erneut gibt. So gibt es z.B. sowohl Straßenbahn Nummer 4, Bus Nummer 4 als auch Trolleybus Nummer 4.

Ganz bemerkenswert ist, dass die Sprache im öffentlichen Nahverkehr Weißrussisch und nicht Russisch ist, wie sonst in fast in allen Bereichen in Belarus. Ansagen und Aushänge sind also in weißrussischer Sprache. Viele Orte in Minsk kenne ich dadurch eher mit dem weißrussischen Namen, da ich an die Ansagen in Bus oder Bahn gewöhnt bin.

Das Netz der Verkehrsmittel ist dabei sehr gut ausgebaut, überall fährt irgendein Bus oder eine Bahn hin. Lange warten muss man auch nicht, viele Linien fahren, zumindest Streckenweise, den gleichen Weg. Normalerweise geht man einfach zur Haltestelle und nimmt den nächsten Bus, da schon einer kommen wird, und richtet sich nicht nach dem Fahrplan. An den Haltestellen ist jeweils nur ein schlecht lesbarer Plan angebracht. Genaue Uhrzeiten stehen bei den meisten Bussen nicht, lediglich das Intervall in dem sie kommen. Also z.B. alle 10 Minuten. In der Rushhour kommen mehrere Linien in zentrumsnahen Bereichen etwa alle 5 oder 6 Minuten. Das führt dazu, dass ein ständiger Strom aus Bussen an der Haltestelle vorfährt. Man wartet also tagsüber selten länger als 2 oder 3 Minuten.

Dieser hohe Takt ist aber auch notwendig. Viele Leute wollen mitfahren. Im Bus gibt es in der Regel immer dichtes Gedränge. Eine Eigenart der lokalen Fahrgäste ist es, sich sofort nachdem sich Bus oder Bahn nach einer Haltestelle wieder in Bewegung gesetzt hat zur Tür durchzudrängeln, statt einfach zu warten bis Bus oder Bahn an der gewünschten Haltestelle angekommen ist.

000_0623Die Busse stammen übrigens ausnahmslos aus einheimischer Produktion. Entweder von MAZ, der Minsker Autofabrik, Hauptsächlich Autobusse, oder von Belkommunmasch, Trolleybusse und Straßenbahnen. Viele davon sind recht modern, wenn überhaupt erst wenige Jahre alt. Bei den älteren Modellen erlebt man manchmal kleinere Ausfallerscheinungen. Innerhalb von 24 Stunden brachen einmal zwei Busse unter meinen Füßen zusammen. Erster Vorfall: Der Bus ist normal unterwegs. Auf einmal gibt es einen lauten Knall mit Erschütterung. An der nächsten Haltestelle müssen alle aussteigen. Irgendwas war zerbrochen. Zweiter Vorfall: Schon beim Betreten des Buses ist Brandgeruch wahrnehmbar, Rauch oder Flammen aber nicht. Trotzdem geht es ab der nächsten Haltestelle nicht mehr weiter. Bus kaputt.

Busfahrer, unter denen weder Frauen noch 20-jährige Ausnahmen sind, tragen normale Straßenkleidung. Sie sitzen in einem extra Abteil, von den Fahrgästen abgetrennt. Das Abteil haben sie oft aufwendig und individuell dekoriert. Scheinbar hat jeder Busfahrer jeden Tag den selben Bus. Man beachte zum Beispiel beim Bus unten – übrigens ein neueres Modell von Belkommunmasch – die farbigen Seitenspiegel oder die nicht serienmäßigen Radkappen. Jetzt im Sommer haben sie darüber hinaus immer die Fahrertür offen, so gibt es mehr Frischluft. Außerdem rauchen sie in dem Abteil gern während der Fahrt.000_0803

Минчанин

Минчанин ist die Bezeichnung für einen Bewohner von Minsk. Im Deutschen würde man wohl Minsker sagen. In diesem Beitrag geht es um einen ungewöhnlichen Bewohner Minsks, der Anfang der 1960er Jahre in der Stadt lebte. Eine Person von der man das nicht unbedingt erwartet. Seine Zeit in der Stadt ist heute weitgehend vergessen.

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Gemeint ist Lee Harvey Oswald, der Mann der allen Verschwörungstheorien zum Trotz 1963 John F. Kennedy erschoss. Er hatte wohl schon länger Sympathien für die kommunistische Ideologie, wollte aber zuerst Soldat werden. Unter einem Vorwand lies er sich entlassen, reiste nach Finnland und ging dort dann in die sowjetische Botschaft. Er war 19 Jahre alt. Er beantragt ein Touristenvisum für einige Tage in Moskau. Doch er hat nicht vor wieder zu gehen, sondern will im kommunistischen Paradies leben. In Moskau angekommen findet er wenig Gehör, man weiß nicht so recht was man von ihm halten soll. Vielleicht ist er ein Spion.

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Nach längerem hin und her, sein Touristenvisum ist längst abgelaufen, darf er doch bleiben. Man schickt ihn nach Minsk, Hauptstadt der BSSR. Belarussische Sozialistische Sowjetrepublik. Er ist der einzige Amerikaner in Minsk. Man gibt ihm eine Wohnung. Sie befindet sich wie passend – und das ist kein Scherz – in der Kommunistischen Straße (улица коммунистическая), Hausnummer 4 Die Straße heißt bis heute so. Sie befindet sich unmittelbar am Platz des Sieges, im Zentrum der Stadt. Aufwändige Zuckerbäcker-Architektur. Diese Adresse war auch damals schon kein Arbeiterviertel, eher etwas für Parteibonzen.

Die Adresse ist bis heute kein Arbeiterviertel. Heute wohl eher Geldadel, wobei die eine oder andere Wohnung scheinbar heute noch in der Hand normaler Leute ist. Vererbt. Von der Wohnung ist es nicht weit zur Horizont-Radiofarbik. In diesem Betrieb gibt man ihm eine Arbeitsstelle. Horizont bzw. im Russischem горизонт ist ein bis heute existierender Elektronikhersteller in Belarus. Radios, Fernseher und einiges anderes sind in vielen Haushalten zu finden. Die Konkurrenz aus China ist noch nicht zu verbreitet.

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In der Fabrik wird ein Arbeiter abgestellt um Oswald Russisch beizubringen. Der Mann wird später noch Karriere machen. Es ist Stanislaw Schuschkevitsch. Erster Präsident von Belarus, 1991 bis 1994. Wie klein die Welt doch manchmal ist.

Außerdem lernt Oswald eine Studentin kennen. Marina. Sie heiraten, es gibt ein Kind. Auf dem Bild oben ist er mit Frau in der Nähe der Wohnung am Fluss Swislotsch zu sehen, im Hintergrund links die Oper und rechts das heutige Verteidigungsministerium. Heute aus dieser Perspektive nicht mehr so gut zu sehen. Die Bäume sind gewachsen.

Doch schien es mit dem kommunistischen Paradies im Minsk der frühen sechziger Jahre doch nicht so weit her zu sein. 1962 äußert er den Wunsch wieder zurück in die USA zu kommen. Man lässt ihn wieder rein. Ein Jahr später ist der Präsident tot, Oswald zwei Tage danach auch.

Und sonst so in Belarus (III): Zaslawl

Nachdem die bisher in dieser Serie vorgestellten Städte vergleichsweise groß waren, geht es diesmal um eine Kleinstadt, fast ein Dorf. Zaslawl (belarussisch: Заслаўе; russisch: Заславль) liegt etwa 30 km vor den Toren von Minsk. Dort leben etwa 14.000 Menschen. Die meisten davon wohnen aber in wenigen Plattenbauten in einem recht neuen Ortsteil, der Rest hat dörflichen Charakter.

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Mit der Elektrischka ist man in etwa 30 Minuten dort. Im Zug fährt auch wie immer die Babuschka, die auf der Datscha Beeren und Gurken ernten will. Vielleicht auch der Detuschka, also Opa, der zum Angeln fährt. Am Fahrkartenschalter in Minsk verlangt an interessanterweise ein Ticket nach Беларусь, also Belarus und nicht Zaslawl. Der Bahnhof der Stadt trägt also eigenartigerweise den Namen des Landes. Viele der Züge in kleinere Städte fahren übrigens nicht vom Minsker Hauptbahnhof, sondern vom Nord- oder Ostbahnhof. Ein Ticket vom Hauptbahnhof zu so einer Station kostet rekordverdächtige 700 Rubel, etwa sechseinhalb Cent.

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Zurück nach Zaslawl. Verlässt man den Bahnhof in Richtung Hauptstraße kann man zuerst einen ethnografischen Komplex, also eine Sammlung alter Holzhäuser besichtigen. Folgt man der Hauptstraße kommt man ins Zentrum, wobei alles recht locker bebaut ist und wie gesagt dörflich wirkt. Wie heißt die Hauptstraße? Sowjet-Straße. Wohin führt die Hauptstraße? Zum Lenin-Platz. Lenin ist hier wohl als Braut dargestellt. Ganz in weiß. Hinter seinem Ohr ist ein bisschen Farbe abgefallen, früher war er wohl mal grau. Eine Hand hat er in der Hosentasche. Von dort wird er sie gleich ausstrecken um den richtigen Weg zum Kommunismus zu weisen. Die andere Hand ist schon zur Faust geballt.

Doch sollte man den Lenin-Platz hinter sich lassen, denn Zaslawl ist durchaus als historischer Ort bekannt, über 1000 Jahre alt. Der sichtbarste Rest davon sind ein komplett erhaltener Festungswall aus dem 11. Jahrhundert in dem es mal eine Burg gab. Heute ist davon noch die orthodoxe Kirche übrig. Zu erkennen am zweiten schrägen Querbalken des Kreuzes (Bild unten links). Zweites besonders erwähnenswertes Bauwerk der Stadt ist die katholische Kirche aus dem 18 Jahrhundert. Zu erkennen am auch außerhalb der orthodoxen Welt bekannten Kreuz (Bild unten rechts).

Zaslawl liegt übrigens am Fluss Swislotsch, der einige Kilometer weiter Minsk erreicht und durchs Zentrum der Stadt fließt. Zaslawl liegt ebenfalls an der Autobahn, die nach Grodno führt, ist also durchaus für Minsker eine Wohnoption im Grünen. Man ist in 30 Minuten in der Stadt. Wenn man in einem Minsker Wohnsilo am Stadtrand wohnt braucht man länger.

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